: Momper verscherzt es sich mit den Gewerkschaften
■ SPD-Spitzenkandidat hofiert die Neue Mitte, die Arbeitnehmer verliert er aus dem Blick
Walter Momper hat gleich mehrere Gewerkschaften nachhaltig verprellt. Um markige Worte war der 54jährige SPD-Spitzenkandidat noch nie verlegen: Mit dem Schlagwort vom „ÖTV-Staat“ attackierte Momper den angeblich übermächtigen Einfluß der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes. Unvergessen ist auch eine weitere Provokation Mompers: Ausgerechnet ein Genosse schlug vor, beim Personalabbau im öffentlichen Dienst betriebsbedingte Kündigungen künftig nicht mehr auszuschließen. In das Gedächtnis der GewerkschafterInnen haben sich diese Äußerungen, die noch vor Mompers politischem Comeback fielen, tief eingegraben. „Das hängt ihm nach“, sagt ein Gewerkschaftsboß, auch wenn betriebsbedingte Kündigungen kein Thema mehr sind.
In den letzten Wochen hat sich allerdings noch mehr Unmut angesammelt. Denn Mompers Schroffheit, die seine Berater gerne zum Markenzeichen „ein Mann mit Ekken und Kanten“ umdeuten, vergrätzt viele Gewerkschafter. Der Unmut verdichtete sich nun gar zu Äußerungen, die SPD sei für Gewerkschafter nicht mehr wählbar. Die Alarmsignale sind nicht zu überhören. Bei Auftritten vor Personalversammlungen erntet der SPD-Spitzenkandidat derzeit vor allem Buhrufe und Pfiffe.
Die Klagen der Gewerkschaftsvorsitzenden gleichen sich: Momper hofiere die Neue Mitte und konzentriere sich zu sehr auf Wirtschaftsthemen. „Momper spricht einseitig die Wirtschaftsklientel an. Was wir vermissen, ist mehr Sensibilität für Arbeitnehmerfragen“, bemängelt DGB-Chef Dieter Scholz. Die Interessen der Arbeitnehmer drohten „hintenrunterzufallen“. „Berlin besteht nicht nur aus der Neuen Mitte“, stellt auch die ÖTV-Vorsitzende Susanne Stumpenhusen fest. „Die Arbeitnehmer warten auf Worte, in denen sie sich wiederfinden.“
Atmosphärische Störungen spricht auch HBV-Chef Manfred Birkhahn an: „Das Problem ist nicht, daß wir verschiedener Meinung sind, sondern der Hochmut, mit dem damit umgegangen wird.“ Die HBV kreidet den Genossen ihren Alleingang für einen verlängerten Ladenschluß bis 22 Uhr an. Erbost hat HBV und DAG zudem, daß sie von den SPD-Plänen erst aus der Presse erfuhren. Als HBV-Chef Birkhahn bei einer späteren Besprechung mit der SPD-Spitze warnte, wer denn noch SPD wählen solle, wenn die Genossen die VerkäuferInnen gegen sich aufbrächten, habe ihm Momper geantwortet: „Das laß mal unsere Sorge sein.“
Der HBV-Chef sieht nicht nur Arbeitsplätze im Handel in Gefahr, er stellt auch den Bedarf nach längeren Öffnungszeiten in Frage. Schon jetzt nutzten nur die Hälfte der Berliner Geschäfte die Möglichkeit, bis um 20 Uhr zu öffnen. „Die Auswirkungen von politischen Beschlüssen werden nicht untersucht“, redet sich Birkhahn in Rage. „Das ist das mindeste, was man erwarten kann.“ Auch DAG-Chef Hartmut Friedrich hält es für „unklug“, längere Ladenschlußzeiten im Wahlkampf zu thematisieren. Das Verhältnis der Beschäftigten zur SPD sei derzeit „außerordentlich getrübt“. Die 80.000 Angestellten im Berliner Handel machen mitsamt Angehörigen ein nicht zu vernachlässigendes Wählerpotential aus. „Wir werden niemanden wählen, der uns unsere Zeit stiehlt und unsere Arbeitsplätze kaputtmacht“, droht HBV-Chef Birkhahn.
Zur Entfremdung zwischen Gewerkschaften und Genossen trägt aber auch die Modernisierungspolitik der Berliner SPD bei, die Momper voll unterstützt. Nach dem Verkauf von Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgern sind als nächstes die Wohnungsbaugesellschaften dran. Das wird wieder Arbeitsplätze kosten, befürchtet Birkhahn zu Recht.
Momper, der einen Wahlkampf mit harten Wahrheiten führen will, hat indes noch nicht den richtigen Ton getroffen, diese Wahrheiten schonend zu vermitteln. Der Diplompolitologe, der sich vor einigen Jahren mit einer Bauprojektentwicklungsfirma selbständig machte, spricht lieber davon, daß er als Regierender Bürgermeister die Ansiedlung von Firmen zur Chefsache machen wird.
So gehörte Momper auch zu den ersten, die das Modernisierungspapier von Kanzler Schröder und dem britischen Regierungschef Tony Blair unterstützten. Und auch das kam bei vielen Gewerkschaftern nicht gut an. Dabei benennt das Papier nur längst bekannte Notwendigkeiten wie den Umbau der sozialen Sicherungssysteme. Wirklich strittig ist nur der Niedriglohnsektor für gering qualifizierte Arbeiter. Momper verstärkte mit seiner Geste jedoch den Eindruck, die SPD vertrete immer weniger die Interessen der Arbeitnehmer. „Die SPD scheint sich von ihrer Geschichte zu verabschieden, ein Abschied von den Gewerkschaften zugunsten der Neuen Mitte“, so Birkhahn.
Und so hat Peter Senft, SPD-Kreisvorsitzender von Berlin-Zehlendorf und Mitarbeiter der IG Metall, keine leichte Aufgabe, Unterstützer für seine Wählerinitiative „Gewerkschafter für Momper“ zu finden. Bislang haben sich fünfzig Gewerkschafter dem Aufruf angeschlossen. „Das übertrifft meine Erwartungen“, so Senft. Allerdings sind nur zwei hochrangige Funktionäre dabei, der Vorsitzende der Postgewerkschaft, Bernd Lindenau, und Ursula Schäfer, eine DGB-Kreisvorsitzende. „Einige Absagen“ habe er sich auch eingefangen. Die Initiative will „in die Betriebe hineinwirken“ und „ausloten, ob die Stimmung wirklich so ist, wie es dargestellt wird“, sagt Senft.
Auch DAG-Chef Friedrich betont: „Es ist nicht unser Hobby, die SPD unter 20 Prozent zu drücken.“ Die Gewerkschaften hätten kein Interesse daran, daß die SPD in einer Großen Koalition zum Juniorpartner werde. Für ein klärendes Gespräch stehe man zur Verfügung – ein Angebot, auf das Momper demnächst zurückkommen will. Dorothee Winden
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