: Bloß das Ende eines Anfangs
Wenn Talkpionierin Ilona Christen nun aufhört, ist Talk vom Bildschirm nicht mehr wegzukriegen ■ Von Christoph Schultheis
Bei der Daily gibt es einen Themenkanon, so zirka 50 Themen. Und die wiederholen sich dann. Ich habe jetzt alle 50 achtmal durch. Das reicht mir persönlich. Es gibt aber Leute, die brauchen noch mehr davon und das ist durchaus auch in Ordnung.“
(J.B.Kerner am 13. Januar '98)
Wüßten Sie, liebe Leser, auf Anhieb den Unterschied zwischen „MacGyver“ und „Mike Hammer“ oder „Renegade“, und „Highwayman“, zwischen „Cheers“ und dem „Hogan Clan“, „Pretender“ und „Profiler“, „Profiler“ und „Pretender“, „Full house“, „Alle unter einem Dach“, „Eine starke Familie“ und „Eine schreckliche Familie“, „Exclusiv“ und „Explosiv“ und „exklusiv – die reportage“? Wozu auch?
Aber Ilona Christen kennen Sie? Vielleicht sogar noch aus dem sonntäglichen „ZDF-Fernsehgarten“ der Jahre 1986-92, als die inzwischen 48jährige derart viril über den Lerchenberg hechtete, daß es den Mainzer Männchen am Ende vielleicht ganz lieb war, sie an RTL abzutreten zu können. Dann, eines Tages, schrieb man plötzlich den 13. September 1993. Und so richtig bekannt geworden ist sie erst ein wenig später, die Frau, die Brillen trägt wie andere Ohrclips, eine Frisur wie Parfümeriefachverkäuferinnen und währenddessen in einer Tonlage daherredet wie beim „Pu der Bär“-Vorlesen. Nämlich als die RTL-Talkmasterin Ilona Christen aus der Ariel-Werbung, wo sie sich ins Zeug legte, als ginge es statt um Waschmittel ums Seele-Verkaufen, und so war's ja auch.
Heute nun zeichnet ihre Produktionsfirma in Köln-Hürth für RTL eine weitere Folge der beliebten Talkshow „Ilona Christen“ auf. Es ist ist Ilonas 1.168ste, und es ist ihre letzte. Nur kurze Zeit nachdem die Münchner tz unlängst Ilonas „Ich habe vor der Kamera fertig“ verlautbaren ließ, stellte ihr Sender außerdem für die Kollegin Bärbel Schäfer eine Samstagabendshow in Aussicht und die ARD (jedenfalls laut Bild am Sonntag) ihrem Pfarrmaster Fliege die Absetzung seiner Sendung.
Die Mission ist erfüllt: Talk gehört zum Alltag
Da könnten hypersensibilisierte TV-Beobachter die Neigung verspüren, den Anfang vom Ende der Täglichtalkshow auszurufen und den „Schmuddeltalk“-Empörern zu empfehlen, sich in Bälde ungestört dem Rechtschreibreformboykott, der Nichtraucherei o.ä. zu widmen.
Ein Irrtum: Denn wenn sich die Talkpioniere auch tatsächlich allmählich anderweitig orientieren sollten, dann ist das vermutlich bloß das Ende eines Anfangs. Aus Pionieren werden Veteranen, nichts weiter. Um das andernorts traditionsreiche Billigformat auch hierzulande in Programmschemata und Zuschauerhirne einzuschreiben, brauchte es streitbare, umstrittene Leute, professionelle Individualisten, die sich vor allem (un)beliebt zu machen und ins Gespräch zu bringen hatten.
Mit ihnen ist die tägliche Talkshow bloß angekommen im deutschen Fernsehen – wie das eingangs aufgezählte Action-, Familien-, Mystery-, Comedy- und Nonsensdauerfernsehen, an das wir uns bis zur Ununterscheidbarkeit gewöhnt haben, während uns das Medium täglich mit mehreren hundert Fernsehstunden auflauert und ein klitzekleines Stückchen davon (was – am heutigen Tag z.B. – immer noch 19 Stunden sind) eben mit täglichen Talkshows bestückt.
Und die werden wohl schon bald ganz den Nicoles, Jörgs, Birtes, Sonjas, Sabrinas und Andreassen gehören. Also den ebenso inflationären wie gesichtslosen Konsolidierern der Beliebigkeit, die nichts weiter können müssen als zehn Minuten in Harald Schmidts Show durch- bzw. 45 Minuten in der eigenen herumzustehen und auszusprechen, was ihnen die Regie ins Ohr flüstert.
Der Talk braucht nun keinen Moderator mehr
Die Menschen, ungezählte Millionen – das hat sich gezeigt, mußte sich aber hierzulande auch erst zeigen – haben ein Mitteilungsbedürfnis und, manchmal jedenfalls, sogar ein Schicksal (was es nicht besser macht), das an die Öffentlichkeit muß. Weil es der Sender so will. Und der angereiste Studiogast. Und der daheimgebliebene Zaungast auch. Dazu braucht inzwischen keinen Moderatoren mehr, sondern nur Gesichter, die jeden Tag um die gleiche Uhrzeit wieder auf dem Bildschirm erscheinen, damit jeder weiß wo.
Und mit den Pionieren hat auch die „Schmuddeltalk“-Debatte ihre Schuldigkeit getan: Sie hat den Daily Talk endgültig im Bewußtsein des Fernsehzuschauers verankert. Das ist nicht nichts. Wie lange aber tönen die Warner schon, daß Süßigkeiten und Prügeleien schlecht für die Zähne, Hütchenspiele und Erdstrahlen Nepp, Kriege und Erdstrahlen schädlich sind? Und doch haben wir uns alle bloß daran gewöhnt wie an Weltraumraketenstarts, Schulmädchenreports, sinnlose TV-Movies oder den braunen Nikotinschleim beim allmorgentlichen Husten im Bad.
Bleiben Arabella, Vera und Hans Meiser. Aber die Kiesbauer, so sagte erst kürzlich die „Arabella“-Redaktionsleiterin der taz, möchte so etwas wie die deutsche Oprah Winfrey werden. Vera indes könnte so etwas wie die deutsche Oprah Winfrey werden. Und Meiser? Der dienstälteste Talkshowpionier war schon immer so charakterlos wie die Nullgesichter der zweiten Generation. Und das ist durchaus auch in Ordnung.
Am Bildschirm zu verabschieden ist „Ilona Christen“ noch bis zum 13.7. immer Mo. – Fr., 13 Uhr, RTL
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