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Fleischhaufen Frauentier

„Von Morphium und Absinth und den blutigen Flammen der elektrischen Glorie zerrissen“: Das Literaturhaus zeigt eine irritierende Emmy Ball-Hennings  ■   Von Susanne Messmer

Das Bild der Frau war im Expressionismus meist ein Abziehbild traditioneller Rollenzuweisungen und Klischees. Während sich die Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg auf einem ihrer Höhepunkte befand, gab sich der Expressionismus chauvinistisch und antifeminin. Die meisten expressionistischen Dichter benutzten das Bild der Frau als Projektionsfläche für ihre Sehnsüchte und Ängste, beschrieben sie entweder als perverse, zerstörerische, männerverschlingende Dämonin, Femme fatale und Dirne, als Gefährtin, Schwester und Mutter oder als zerbrechliche, hilflose und kränkliche Heilige und Femme fragile, als unnahbare Muse.

„Die Frauen wiegen die Hüften in Schlinggewächsen und Feuerblumen“, schrieb Georg Trakl. „Der Tod umarmt mich in den warmen Frauen“, schrieb Paul Boldt, und Gottfried Benn und Johannes R. Becher verrieten sich oft und gern in ihrer Angst vor der Auflösung in Sinnlichkeit, vor Entgrenzung im „Frauentier“, im Fleischhaufen, in dem das Ich seine Selbstbeherrschung und Grenzen verliert wie in der unkontrollierbaren Masse.

Die Entdeckung, daß es neben Else Lasker-Schüler auch andere expressionistische Dichterinnen gab, die sich mit diesen Phantasien ja irgendwie auseinandersetzen mußten, ist noch ziemlich frisch. Emmy Hennings, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns Hugo Ball in Ball-Hennings umbenannte, war eine der schillerndsten Frauenfiguren des Expressionismus. Als Diseuse im Münchner Simplicissimus, in vielen Varietés in Berlin und anderswo wurde ihr Auftreten mal als schutzbedürftig kindlich, „verloren und verweht“, mal als gereizt und hysterisch, „von Morphium und Absinth und den blutigen Flammen der elektrischen Glorie zerrissen“ empfunden. Emmy Hennings gab sich emotional, exzentrisch, versponnen, kreativ und verführerisch. Sie begriff ihr Leben als Spiel, inszenierte sich wie ein Popstar, so bunt wie heute vielleicht nur noch Madonna, und nahm so das Bild vorweg, daß die Männer von ihr gewinnen wollten. Damit war ihre Wirkung nicht nur irritierend, sondern zugleich auch unwider-stehlich.

Die Liste ihrer Liebhaber ist enorm: Sie hatte Affären mit Ferdinand Hardekopf, Erich Mühsam, dem Maler Rudolf Reinhold Junghanns, sie teilte die Morphiumspritze mit Johannes R. Becher und pflegte Jakob van Hoddis, als der bereits wahnsinnig wurde. Erich Mühsam, den sie später aus dem KZ freizukaufen versuchte, schwärmte dreist von ihrer „naiven Hurenhaftigkeit“ und schrieb: „Jeder will mit ihr schlafen, und da sie sehr gefällig ist, kommt sie nie zur Ruhe.“

Aber war diese Emmy Hennings wirklich? Und kannte sie überhaupt eine klare Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion, Kunst und Leben? In der Ausstellung im Literaturhaus in der Fasanenstraße wird sie zu einem sehr großen Teil durch die vielen Männer in Beschlag genommen, die sie kannte, durch die man sich an sie herantasten kann. Man kann aber auch auf einem hellblauen Laufsteg ihre verworrenen Lebenswege ablaufen.

In zehn Koffern sind entscheidende Stationen ausgestellt: Ihr Gefängnisaufenthalt, ihre Bücher oder Hugo Balls Tod 1927. Ihre Versuche, sich als Tellerwäscherin, Serviertochter und Hausiererin für Mottenpulver über Wasser zu halten, wie sie mit einem Wandertheater durchs Land tingelte und sich prostituieren mußte, als sich das Theater auflöste und sie nichts mehr zu beißen hatte: „Ich hatte plötzlich allen Grund verloren“, schämte sie sich dafür, betrachtete wie ihre männlichen Kollegen die Prostitution als Sinnbild für die alte, bürgerliche, verfallende Welt, interessierte sich aber gleichzeitig für die „ehrliche Eindeutigkeit“ dieses Milieus.

Emmy Hennings erste Gedichte entstehen flüchtig, „so halt“, in Briefen an verflossene Liebhaber, „als kleine Dreingabe in Ermangelung eines duftenden Rosenblatts“. Viel ist in ihnen die Rede von Haltlosigkeit, von Heimatlosigkeit, von Irren, Stürzen und Taumeln durch die sternenlose, von Gaslaternen hell erleuchtete Nacht, von Todessehnsucht und Müdigkeit. Meistens beschreibt sie sich selbst, als „flüchtend grauer, wehender Fetzen“, dichtet von ihrer Sehnsucht, sich in anderen zu verlieren, aber auch, zu einer eigenen Identität zu finden. „Bin ich entstiegen einem Märchenbuch?“ schreibt sie einmal, mit der Ungewißheit kokettierend. „Hab nichts im Auge, denn es trübt den Blick“, schreibt sie ein andermal. Das Unstete, Ungewisse, das allumfassende und aufreibende Chaos erhob sie zur einzigen Grundkonstante ihres Daseins. Und war dabei eine der widersprüchlichsten Figuren ihrer Epoche. Sie „wollte nicht das private Eigentum eines Mannes sein“, für Hugo Ball, mit dem sie den Club Voltaire gründete, spielte sie gern die mütterlich besorgte Ehefrau. Mit Else Lasker-Schüler bekriegte sie sich aufs Blut. Sie war Morphinistin, mehrfach lebensbedrohlich krank, wurde schon früh gläubige Katholikin, liebevolle Mutter und Großmutter. Ihr autobiographisches Buch „Das Brandmal“, in dem sie ihre Erfahrungen auf dem Strich beschreibt, ist soeben erst wieder im Suhrkamp Verlag erschienen. Was Wunder, daß Kritiker damals schrieben: „Emmy Hennings hat es nicht nötig, Geist zu ursupieren, um jene Männer zu bluffen, deren Unbewußtes nur auf saltomortalische Probleme reagiert.“ Literaturhaus Berlin, Fasanenstr. 23, Charlottenburg, bis 1. 8., täglich außer dienstags von 11 bis 19 Uhr

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