piwik no script img

Auf dem Weg in die Wüste

In dieser Woche verabschiedet sich Claus Peymann vom Wiener Burgtheater und macht sich auf den Weg nach Berlin. Das Theaterleben der Hauptstadt findet er „zum Davonlaufen – deshalb gehe ich da ja hin“  ■   Von Ralph Bollmann

Am Schluß gab es noch einmal Bernhard, Bernhard, Bernhard. Den „Theatermacher“, der Claus Peymanns erste Spielzeit 1986 eröffnet hatte. Den „Heldenplatz“, der die Alpenrepublik 1988 an den Rand einer Staatskrise gebracht hatte. Und, als leiser und selbstironischer Abgesang, Bernhards Dramolette über den manisch monologisierenden Intendanten. Mit ihnen endeten am Mittwoch abend die 13 Jahre der Ära Peymann am Wiener Burgtheater. Als sich der Vorhang über der 9.912. Vorstellung seiner Direktion senkte, schienen alle Anfeindungen vergessen. Mit einem Blumenregen und einer Viertelstunde stürmischem Applaus verabschiedete sich das Wiener Publikum von jenem „Piefke“, dem es in Haßliebe verbunden war. Jetzt zieht Peymann weiter. Das Berliner Ensemble wird gerade für ihn umgebaut, gegen Jahresende soll es fertig sein. Am liebsten würde Peymann vermutlich seinen Wiener Applaus nach Berlin mitnehmen – genauso, wie es ihm Bernhard beim Wechsel von Bochum nach Wien in den Mund legte: „Aber ein Applauskoffer ist von den Kofferkonstrukteuren noch nicht konstruiert worden.“

Der Skandal, den seine Wiener Berufung 1986 auslöste, wird sich jedenfalls nicht wiederholen lassen. Schon zu viele Brüche haben die Berliner in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt, als daß sie sich noch aus der Ruhe bringen ließen. Und das Theater, das in Österreich als Kompensation für mancherlei verdrängte Konflikte herhalten muß, ist den meisten Berlinern komplett gleichgültig. Gemessen an der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil der Kulturmenschen so niedrig wie in kaum einer anderen Metropole der zivilisierten Welt. „Selbst wenn ich auf dem Land in einem Dorfbeisel essen gehe“, sagt Peymann über seine Wiener Zeit, „reden in kürzester Zeit alle mich umgebenden Tische auch über das Theater.“ In einer Berliner Eckkneipe wird ihm das kaum passieren. In Berlin, weiß Peymann, kennen „die Taxifahrer weder die Namen der Direktoren noch die Adressen der Theater“.

Doch die Berliner Intendanten haben einen Teil der Misere selbst zu verantworten. Während Peymann in Wien ein Feuerwerk der Selbstinszenierung entfachte und in wohldosierten Abständen immer neue Raketen in den Himmel steigen ließ, kennt das Berliner Publikum seine Intendanten hauptsächlich als larmoyante Figuren, die vor Parlamentsausschüssen ihre Mißhandlung durch den Kultursenator beklagen.

Seit der Ruf nach Berlin in Aussicht stand, hat Peymann sein polemisches Talent mit Vorliebe gegen die Berliner Kollegen in Stellung gebracht. „Die Berliner Theaterwüste“, erklärte er vor zwei Wochen dem Stern, „ist zum Davonlaufen – deshalb gehe ich da ja hin.“ Selbst Frank Castorf, der es als einziger Berliner Bühnenchef so knallen läßt wie Peymann in Wien, nimmt er da nicht mehr aus. „Der wilde Nostalgieschwung in der Parzelle Prenzlauer Berg“ sei vorbei, Castorf habe „die Lust an seinem eigenen Theater verloren“.

Und die Schaubühne? „Zu einem Selbsterinnerungstheater erstarrt.“ Das Deutsche Theater? Dort „ging man aus den Vorstellungen mit dem Gefühl raus, man hätte erst gar nicht hingehen müssen“. Das Maxim Gorki Theater? „Grau in Grau“. Dessen Chef Bernhard Wilms künftig an der Spitze des Deutschen Theaters? „Er wird das nicht machen. So intelligent ist der schon.“ Der Abgang von Thomas Langhoff? „Sentimentales Abschiedsgefasel.“

Schon die Bewerbung für das Berliner Ensemble hatte Peymann in die Form von Invektiven gegen die Berliner Kulturpolitik gekleidet. „Dieser sogenannte Kultursenator Radunski“, erklärte er dem Spiegel, „hat nicht nur äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Zigeunerbaron aus der gleichnamigen Operette von Johann Strauß.“ In Österreich löste Peymann mit derlei Tiraden Staatskrisen und 25 parlamentarische Anfragen aus. Anders in Berlin: Der Gescholtene freute sich und bot ihm wenig später einen Vertrag an.

Kurz danach, seine Aussichten auf Berlin hatten sich schon konkretisiert, beklagte er in der deutschen Hauptstadt „als Theatertourist eine gewisse Ödnis, und wenn ich in Berlin ins Theater gehe, sind diese halb leer. In Wien müssen wir jeden Abend 2.000 Karten fürs Burg- und Akademietheater verkaufen, und die verkaufen wir meistens auch. Wenn wir so trostlos besucht wären wie manche Theater in Berlin, schmeißt mich drei Tage später der Finanzminister raus.“

Peymann hat gut reden. Im Vergleich zu Berlin ist Wien ein Theaterparadies. Burg- und Akademietheater, Josefstadt, Volkstheater, dazu unzählige kleinere Bühnen und zwei Opernhäuser – das alles in einer Stadt, die nicht einmal halb so groß ist wie Berlin. Und das theatersüchtige Publikum stürmt die Häuser allabendlich, ganz gleich, ob Erbauung oder Erregung auf dem Spielplan steht.

Ganz zu schweigen von den Finanzen. Rund 85 Millionen Mark Subventionen erhält das Burgtheater im Jahr, doppelt soviel wie das Deutsche Theater, viermal soviel wie das Berliner Ensemble. Versorgt wird damit ein Apparat von rund hundert Burgschauspielern, ausgestattet mit Verträgen auf Lebenszeit. Jeder in diesem Haus ist stets zu Intrigen bereit. Daß die Riege der Traditionalisten jede Mitarbeit an Peymanns Inszenierungen verweigerte, versteht sich da von selbst.

Peymann gefiel sich in der Rolle des heroischen Kämpfers gegen den Apparat dieses „Theaterimperiums“, als dessen „Kaiser“ er sich sah. Wie im alten Rom war der Maßstab seiner Zeitrechnung nicht Christi Geburt, sondern der Beginn seiner Direktion. Mit Tiraden gegen das „Privilegiennest“ und das „Schilling-Grab“ löste er einen Putschversuch nach dem anderen aus. „Wenn Sie wüßten, was für eine Scheiße ich hier erlebe“, klagte er zwei Jahre nach Amtsantritt in einem berühmt gewordenen Zeit-Gespräch, „dieses Land ist ein Irrenhaus.“ In jenem Jahr 1988, kurz vor Bernhards Tod, erreichte die symbiotische Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und dem Dichter ihren Höhepunkt. Die „Grundsatzerklärung“, mit der sich Peymann gegen die Angriffe zur Wehr setzte, stammt aus Bernhards Feder.

Im November war die Skandalchronik mit der Uraufführung des Bernhard-Stücks „Heldenplatz“ auf ihrem Gipfel angelangt. Mit Auszügen aus dem Drama hatten die Boulevardblätter den Volkszorn angefacht: Österreich – „sechseinhalb Millionen Debile und Tobsüchtige“. Peymann zögert nicht, sich die Modernisierung der österreichischen Gesellschaft im zurückliegenden Jahrzehnt auf dem Konto der eigenen Verdienste gutzuschreiben.

Damals, Ende der 80er, fuhren sogar Abiturienten aus der schwäbischen Provinz eigens nach Wien, um dieses Theater-Spektakel von den billigen und unbequemen Plätzen auf der Galerie mitzuerleben. Gewiß, nicht immer waren es große Theaterabende. Blättert man die über 200 Programmbücher der Peymann-Ära noch einmal durch, werden auch Erinnerungen an quälend lange Theaterabende wieder wach.

Mit Provokationen wird Peymann in Berlin nicht mehr viel ausrichten können. Schon ist dem Berliner Lokalblatt Tagesspiegel gelungen, was bisher noch keine Zeitung geschafft hat: mit Peymann ein langweiliges Interview zu führen. Das Publikum wird ihn stärker an seiner Theaterarbeit messen. Das Berliner Ensemble, verspricht Peymann, werde er zu einem „Laboratorium für das Neue“ machen.

Eines ist schon jetzt gewiß: Anders als seine Kollegen wird er sich von der Berliner Kulturpolitik nicht in die Defensive drängen lassen. Er läßt keinen Zweifel daran, daß Theater wichtig ist – schon aus Gründen der Selbstachtung. Und da gibt es für ihn keine Grenzen. „Peymann ist in der Lage“, bescheinigte ihm der Schauspieler Robert Hunger-Bühler, „praktisch alles auf sich selbst zu beziehen.“

Die Skandale, die Peymann in Wien ausgelöst hatte, lassen sich nicht wiederholen. Den meisten Berlinern ist das Theater komplett gleichgültig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen