piwik no script img

„Toben auf natürliche Art“

Mit dem neueröffneten „Casanova“ sollen die Traditionen der alten Berliner Ballhäuser wiederbelebt werden. Oder: Der Traum vom mondänen Laster  ■   Von Barbara Bollwahn de Paez Casanova

Casanova, wohin das Auge blickt: als blauer Schriftzug unter einem eng umschlungen tanzenden Paar auf den Teppichen, in roter Farbe auf den Servietten und auf der Getränkekarte als Sekthausmarken „Casanova brut“ und „Casanova lieblich“. Bis auf die Toiletten verfolgt der italienische Frauenheld die Gäste, wo er sie auf kleinen Bildern daran erinnert, daß sie sich im „Casanova“ befinden.

Das gleichnamige Ballhaus eröffnete vor einer Woche in Berlin. Der Name ist Programm und geht auf das Jahr 1927 zurück, als in Tiergarten „die schönste Tanzstätte des Kontinents“ eröffnet wurde, so die damalige Werbung. Mit seinen expressionistischen Formen war es eines der interessantesten Lokale der 20er. Trotzdem sattelte man schon bald auf Rokoko und „zügellosen Pomp“ um. Und das Lokal bekam den Ruf, das „Hauptquartier der feinen Lebewelt“ zu sein – mit dem „Aroma des mondänen Lasters“. Nachdem das Haus mit seiner Kapelle, den „Kleinen Casanovas“, und seinem Varieté-Programm anfangs den Ruf mühelos verteidigen konnte, wurde es mit zunehmender Konkurrenz immer schwieriger. Die anderen hatten ebenso auf Rokoko gesetzt, die Gäste hatten es bald über. Auch die Spitzenbands, auf die man nach 1930 setzte, konnten den Untergang nicht aufhalten. Das „Casanova“ wurde geschlossen, und schließlich fiel das gesamte Areal 1943 Luftangriffen zum Opfer.

Nun ist das „Casanova“ wieder da. Auch wenn das Ballhaus von Tiergarten in die ehemaligen Räume der Charlottenburger Festsäle verlegt wurde, ist mehr als nur der Name wieder auferstanden. Die Pianobar ist wie damals blau, der elegante Tanzsaal rot. Riesige Originalfotos von Marlene Dietrich und diverser Kapellen im alten „Casanova“ lassen die guten alten Zeiten wieder aufleben. Riesige Lüster an der Decke und edles Holz sorgen für angenehme Eleganz. Im französischen Restaurant gleich nebenan erinnert ein Bild Friedrichs des Großen daran, daß der Namensgeber des Ballhauses sich einst an dessen Hof aufhielt.

Der Ägypter Ahmed Raouf, der Betreiber des „Casanova“, will mit seiner Eröffnung einen „alten Mythos“ wiederbeleben. Der Gastronom, der nach einigen Semestern Maschinenbau in den 70er Jahren als Abwäscher jobbte und in der Gastronomie blieb, ist überzeugt, auf das richtige Pferd zu setzen. „So etwas fehlt in Berlin“, sagt der 52jährige, der mit Diskotheken und Wörtern wie „geil“ nichts am Hut hat. Man könne natürlich im „Casanova“ auch „toben“, aber eben „auf natürliche Art“. Dazu gehört für ihn adrette Kleidung, Etikette, Freundlichkeit und Zurückhaltung. „Ich hoffe auf Leute, die das schätzen.“

Raouf, der seit fast 30 Jahren in Berlin lebt, setzt sowohl auf Berliner als auch auf Touristen, denen er sein Rundumangebot schmackhaft machen will. Vor dem Essen ein Drink in der Bar, zum Speisen ins Restaurant und zum Verdauen in den Tanzsaal mit Livemusik – oder in den Kegelkeller. Busreiseagenturen will er ein Menü mit Varieté-Programm anbieten. Optimismus ist angesagt. Denn die drei Millionen Mark Investition, die Raouf in den nächsten fünfzehn Jahren samt Zinsen zurückzahlen muß, müssen sich bald rechnen.

Raouf ist überzeugt, daß sein Konzept aufgeht. In den nächsten Tagen will er die Werbemaschinerie so richtig in Gang setzen: Auf Bussen und U-Bahnwagen soll der „Casanova“-Schriftzug prangen, und auch in Hotels soll die Kunde vom Ballhaus verbreitet werden.

Doch bis sich die Eröffnung des „Casanova“ herumgesprochen hat, sind Chef, Personal und Musiker weitgehend unter sich. An den ersten Tagen war das Lokal – bis auf den Eröffnungsabend – ziemlich leer. Nach und nach trudeln die ersten Reservierungen für die nächsten Tage ein. Trotzdem geht Raouf nie vor ein Uhr nachts nach Hause. Schlafen kann er sowieso nicht. Daran wird er erst denken, wenn der Laden läuft. „Es ist mir lieber, wenn es langsam anläuft“, sagt er, „wenn es sofort hoch und dann wieder runtergeht, erholt man sich nie wieder.“

Auch die Musiker, die Raouf erstmal nur monatsweise vertraglich bindet, sind zuversichtlich. „Die Leute in Deutschland sind immer zu skeptisch“, sagt der Sänger und Saxophonist „Caruso“. Auch der Pianist glaubt, daß so ein Ort auf Interesse in Berlin stoßen wird. „Viele klagen doch immer, daß ein Ort fehlt zum Kennenlernen, der weder Technokeller noch Rentnerball ist.“

Ein Gast, der am Mittwoch abend kurz hereinschaut, um zu gucken, was aus der Kegelbahn geworden ist, die er von vor über 20 Jahren kennt, ist angetan von dem Ambiente. „Solche Plätze können wir gebrauchen in Berlin“, sagt der 57jährige Drucktechniker. „Ich komme bestimmt zurück“, sagt er. Nur eine kritische Anmerkung hat er: „Der Name könnte etwas seriöser sein.“

Ein Entrinnen gibt es nicht. Beim Verlassen des Ballhauses sitzt Casanova den Nachhausegehenden im Nacken: Über einem dreifachen roten Lichtband prangt in roten Lettern „Casanova“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen