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Kinderwagen zu Rasenmähern

■ Die Ausstellung „Marke Eigenbau“ im Russischen Haus zeigt Erfindungen aus der DDR

„Wir haben hier keine Werkzeuge; keine Stoffe bekommen Sie in der Textilabteilung!“, ging ein Witz in der DDR. Tatsächlich gab es in den Ost-Kaufhäusern meist nicht viel, jedenfalls nicht das, was wirklich glücklich gemacht hätte. Woher zum Beispiel eine Hollywoodschaukel nehmen? Oder eine Rübenschnitzelpresse? Oder einen Heimcomputer? Für die Erfüllung derart dekadenter Wünsche gab es im Arbeiter-und-Bauern-Staat oft nur eine Möglichkeit: selber machen.

Eine Ausstellung im Russischen Kulturhaus in der Friedrichstraße beweist, mit wieviel Bastlerfleiß und Geschick „helle Sachsen“ im Raum Karl-Marx-Stadt, heute Chemnitz, von 1945 bis zur Wende 1989/90 der sozialistischen Plan- und Mangelwirtschaft ein Schnippchen geschlagen haben. Vom Antennenverstärker bis zur Zigarrenrollmaschine gibt es fast nichts, was sie nicht zustande gebracht hätten. Die rund 300 Exponate der Ausstellung sind vier Schwerpunkten zugeordnet: Bauen, Einrichten, Hobby und Kinderspielzeug.

Ein „Porsche“-Sportwagen dient als Blickfang – 1969 samt Knautschzone und Überrollbügel auf der Basis eines VW-Käfer-Rahmens mit Textilgewebe und Plastekleber produziert. Wer jemals versucht hat, aus Waschmaschinenteilen einen fahrtüchtigen Traktor mit Allradantrieb zu bauen, wird aber auch dem 7-PS-Gefährt daneben die Anerkennung nicht verweigern können.

Weitere Favoriten bei der Wahl des Publikumspreises für das originellste Objekt: eine Heimorgel aus Akkordeonteilen, zwei Staubsaugermotoren und Pedalen von Nähmaschinen und eine Kettensäge mit einem Fahrad-Hilfsmotor, einer Intershop-Kaffeebüchse als Benzintank und einem Rahmen aus Wasserrohren. Der Betonmischer im Bierfaß und die Schubkarre mit Elektroantrieb sind auch nicht schlecht. Vielleicht bekommt den Preis aber doch das Tonbandgerät, das aus einem Karteikasten und Schulranzenverschlüssen gebastelt wurde - oder die zu Rasenmähern umgebauten Kinderwagen?

Zusammengetragen wurden die genial-aberwitzigen Exponate seit 1996 von der „Phönix GmbH“, einem Berufsförderzentrum der Stadt Chemnitz. Die Phönix-Mitarbeiter bemühen sich seit der Wende darum, Stücke des DDR-Alltags für die Nachwelt zu retten; bisher haben sie sieben Ausstellungen gestaltet. Wie schon „Kühlschränke und Karikaturen“, die erfolgreiche Ausstellung von 1997, wird auch die jetzige „Marke Eigenbau“-Schau gemeinsam mit der „Cartoonfabrik Köpenick“ organisiert.

Die Cartoonfabrik präsentiert deshalb parallel 150 aktuelle Cartoons von 39 Künstlern zum Thema „Erfindergeist, Ideenreichtum und Kreativität in allen Lebenslagen“. Nach Berlin sollen beide Ausstellungen nach Krefeld gehen. Dort werden allerdings die mal stolzen, mal gerührten Kommentare der ostdeutschen Besucher fehlen. Bei der von Balalaika-Musik begleiteten Vernissage im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur löffelten sie letzten Freitag Soljanka-Suppe und lästerten über die Scheiben, die aus der Glasfassade der „Galeries Lafayette“ auf der anderen Straßenseite fallen.

Vor einem Festkleid aus dem dicken und absolut unverwüstlichen DDR-Stoff „Präsent 20“ kam eine Besucherin ins Sinnieren: „Bei uns gab es ja nichts anderes. Mein Sohn zieht sich aber heute diese synthetischen Sachen an – da stinkt er auch wie ein Bulle. Es wiederholt sich eben alles, nur in anderer Form.“ Martin Ebner ‚/B‘Bis 22. August, Friedrichstraße 176 – 179, täglich 11 – 20 Uhr. Ein Teil der Ausstellungsobjekte findet sich im „Phönix“-Buch: „15 Milliarden Stunden im Jahr. Ein Blick auf Hausarbeit und Haushaltstechnik in der DDR“.

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