piwik no script img

Langer Rechenweg zum Erfolg

Die Münchner Polizei wurde bekannt durch ihre Skandale, die Kollegen im bayerischen Pegnitz mittels ihrer statistischen Weltklasse. Eine Posse aus dem Fränkischen  ■   Von Bernd Siegler

Ludwig Strömsdorfer nimmt die Laserpistole in die Hand, zielt und drückt ab. „Wir sind eben so gut.“ Zufrieden registriert er die Meldung des Computers: ein Treffer nur knapp einen Millimeter von der Scheibenmitte entfernt. „Ich bin stolz auf meinen Beruf, es könnte keinen besseren geben“, sagt Ludwig Strömsdorfer, ein kräftiger Mann, 36 Jahre. „Und“, fügt er noch hinzu, bevor er sich wieder dem Tagesgeschehen zuwendet, „keine bessere Dienststelle.“

Über Funk ist ein geplatzter Reifen auf der Autobahn A 9, Ausfahrt Pegnitz/Grafenwöhr, gemeldet worden. Eigentlich eine Sache für die Verkehrspolizei, aber die Polizeiinspektion Pegnitz wurde um Unterstützung gebeten. Deswegen steigt Polizeihauptmeister Strömsdorfer zusammen mit seinem Kollegen, dem Polizeihauptmeister Friedrich Tausch, in den Streifenwagen und düst zur nahe gelegenen Autobahn.

Weltmeister im Einsatz.

Strömsdorfer und Tausch sind Mitglieder der „weltbesten Polizei“. Das mußte ihr Chef feststellen, der Leiter der Polizeiinspektion Pegnitz, der Erste Polizeihauptkommissar Georg Wittmann. Der ist 52 Jahre und führt mit Umsicht die örtliche Statistik. Und die zeigt für seine Inspektion eine Aufklärungsquote von 74,6 Prozent im letzten Jahr. Das ist der Ausgangspunkt für den langen Rechenweg, an dessen Ende das Prädikat „Weltklasse“ steht.

Polizeichef Wittmann also rechnet: Deutschlands Polizei gelte als die beste der Welt. Bayern liege mit seiner Aufklärungsquote an der Spitze Deutschlands. Oberfranken an der Spitze Bayerns. Pegnitz an der Spitze Oberfrankens. Also: Weltklasse. Natürlich meint er seine Zahlenspielerei nicht „tierisch ernst“, wie er sagt. Man wolle damit „weder protzen noch prahlen“, aber mächtig stolz sei er auf seine Inspektion schon: „Unser Leistungsmesser ist die Aufklärungsquote, wir haben eben keine Stoppuhr oder Tore wie im Sport.“ 1:0 für Pegnitz.

„Natürlich sind wir hier auch eine relativ gesicherte Ecke“, sagt Weltmeister Wittmann dann.

Die Ecke, das ist der Landstrich direkt an der Autobahn Nürnberg – Berlin, die von Wanderern wegen der bizarren Felsformationen, Höhlen, Flüßchen und ausgedehnten Wäldern geschätzte Fränkische Schweiz. Pegnitz, das ist das fachwerkverzierte Rathaus aus dem 16. Jahrhundert, in den Gasthöfen hausgebrautes Bier und Schweinsbraten mit rohen Klößen und die Eisdiele „Dolomiti“ am Marktplatz.

Bei uns ist die Kirche noch im Dorf“, sagt Bürgermeister Manfred Thümmler von der CSU. Seit 17 Jahren steht er der überwiegend katholischen Kleinstadt vor. Nur einmal im Jahr, während der Wagner-Festspiele im nahen Bayreuth, weht so etwas wie weltstädtisches Flair durch die Gassen von Pegnitz. Dann residiert allerlei Prominenz – von Michail Gorbatschow bis Bill Clinton – in Pflaums Posthotel. Den Rest des Jahres bestimmen die 3.500 Jugendlichen, die hier zur Schule gehen, die aktuellen Modetrends und Subkulturen. „Auch die sind bei uns integriert und fühlen sich gut aufgehoben“, meint der Bürgermeister. Insgesamt 120 Vereine, darunter 30 Sportvereine. „Das gesellschaftliche Leben bei uns funktioniert.“

Nur selten wird diese Eintracht gestört. Doch damals, vor vier Jahren, da suchten diese rumänischen Tresorknackerbanden Oberfranken heim. Georg Wittmann erinnert sich. Mit brachialer Gewalt rissen sie Tresore aus den Schalterräumen der örtlichen Bankfilialen und knackten sie anschließend in einsamen Waldgegenden. Oder diese polnischen Schubkarrenbanden. Die stahlen wertvolle landwirtschaftliche Geräte und transportierten das Diebesgut per Schubkarre zu ihren Autos.

Doch auch diese Einbruchs- und Diebstahlsserien sind, gottlob, aufgeklärt, die Weltmeister schlugen zu und verhafteten die Täter. Auch als im letzten Jahr mit einer Reihe von Ladendiebstählen, begangen von 14 Kindern im Alter von etwa 13 Jahren, eine Welle von Jugendkriminalität ins beschauliche Pegnitz schwappte, waren sie zur Stelle. Ein paar gezielte Gespräche, und die jungen Täter waren überführt.

Motiv: Langeweile.

Nun ist aber wieder Ruhe! Ein paar Diebstähle, ein paar Körperverletzungen, ein wenig Betrug, ein bißchen Drogen. Das war's. Mord, Vergewaltigung oder Geiselnahme – Fehlanzeige.

Auf einer Anhöhe der Stadt in einem gelb angestrichenen, unscheinbaren Zweckbau liegt die Rekordstation. Auffällig nur: In der Eingangshalle der Inspektion steht ein elektrischer Schuhputzautomat – man legt Wert auf korrektes Auftreten. „Wir essen sogar unsere Weißwürste ohne Bier“, sagt Inspektionsleiter Wittmann. Triumph in der Stimme. Er steht einer Polizeiinspektion vor, deren Sollstärke bei 36 Mann für den Einzugsbereich von 36.000 Einwohnern liegt. Ein Polizist auf 1.000 Bürger, das entspräche genau dem Durchschnitt für ländlich strukturierte Gegenden. Doch die Ist-Stärke liegt weit darunter. Wie weit, darf Georg Wittmann nicht verraten: „Dienstgeheimnis.“ Doch Wachmeister Wittmann ist ein Mann mit Organisationstalent. Und so ist rund um die Uhr mindestens eine Streife in dem 510 Quadratkilometer riesigen Revier unterwegs.

Wenn dann mal wieder Not am Mann ist, hilft man sich in der PI Pegnitz gegenseitig – auch in der Freizeit. Ein Beamter wohnt gleich gegenüber vom Präsidium, und auch der Chef ist ständig erreichbar, sollte mal einem Dorfbürgermeister nachts wegen Alkohol der Führerschein entzogen werden. „Jeder ist für jeden da und identifiziert sich mit seiner Dienststelle“, nennt Georg Wittmann als Erfolgsrezept. Eine richtige „Polizeifamilie“ eben.

Familiensenior ist Friedrich Tausch. Der ist 59 und muß immer noch Streife fahren. Wer einmal nach Pegnitz kommt, bleibt auch, und so sind alle Jobs im Innendienst besetzt. „In Großstädten sitzt man spätestens mit 35 am Schreibtisch“, sagt Freidrich Tausch. Klingt da Neid mit? Seit 1967 ist er hier und jede vierte Nacht zwölf Stunden auf Achse. Nein, es gefällt ihm im Kreis seiner Lieben.

Mit seinen 32 Jahren ist Udo Schamel das Küken. Der Polizeiobermeister ist erst seit März dabei und kam von München. Die Mindestverweildauer in der Landeshauptstadt beträgt vier bis fünf Jahre. Sieben wurden es. Erst als er heiratete und ein Kind bekam, wurde sein Versetzungsantrag zu den heimatlichen Weltmeistern bewilligt. „Nach der Nachtschicht noch 220 Kilometer zur Fahrt nach Hause zu Frau und Kind, das schlaucht“, erzählt er, den Stift lässig durch das Polizeiabzeichen am Ärmel gesteckt. Udo Schamel hat München „abgehakt“, so will er auch gar nichts zu der Serie von Skandalen sagen, die die Polizei in ganz Bayern in Mißkredit gebracht hat.

Hatte Polizist Schamel in München Dienst auf der Wache, standen die Leute oft Schlange. In Pegnitz kommt manchmal einen Tag lang keiner. Sind in den Münchner Revieren die Haftzellen besetzt, stehen die beiden Zellen in Pegnitz die meiste Zeit leer. Zuletzt saß Mitte Januar ein wegen Haftbefehls gesuchter Mann im kalten Keller. In München mißfiel es Schamel, daß er einen Fall nie bis zu Ende bearbeiten durfte und mit Verwaltungsarbeiten zugeschüttet wurde. Hier in Pegnitz dagegen hat er „seinen“ Fall. „Man wittert den Erfolg und kniet sich in eine Sache rein.“

„Jeder zieht seinen Fall von Anfang bis Ende durch, Ausreden gibt es keine, und Fehler kann man nicht einfach auf andere abwälzen“, sagt Inspektionschef Wittmann. So. Das spornt an. „Fließbandarbeit schafft eben keine Identifikation mit dem Endprodukt“, sagt Wittmanns Stellvertreter Peter Wenzel. In Pegnitz sei jeder Ermittler motiviert. Man kennt seine „Pappenheimer“, sein Revier, pflegt den Kontakt zur Bevölkerung. „Wenn hier jemand Fremdes durch die Straßen läuft, geht bestimmt in irgendeinem Haus ein Vorhang beiseite“, sagt der 52jährige Wenzel. Pegnitz – dein Freund und Helfer.

Polizeihauptkommissar Wenzel, dem das Postbotendasein zu langweilig war und der deshalb zur Polizei ging, ist seit 1976 in Pegnitz. Als er von Bamberg hierher wechselte, überkamen ihn zunächst „paradiesische Gefühle“. Dann kam der Mauerfall. „Wir waren jetzt mitten in Europa, die kriminelle Potenz, die im Ostblock steckte, hat mich überrascht.“ Schnell verflog angesichts des Anstiegs der Straftaten um ein Drittel Wenzels euphorische Stimmung, dennoch wünscht er sich nicht, daß die Mauer wiedererrichtet wird. Warum auch: „Wir haben anfangs etwas die Übersicht verloren, aber jetzt wieder fast alles im Griff.“

Wenn Wenzel früh ins Büro kommt, geht er die Meldungen der vergangenen Nacht durch: Ein polnischer Fahrzeughalter war auffällig geworden, die Überprüfung verlief negativ, ansonsten noch ein Fehlalarm bei einer Bank. Da bleibt Muße für Hobbys. Wenzel liest außer Dienst gerne historische Literatur und betreibt eine vom Deutschen Wetterdienst anerkannte Wetterstation. Dank seiner 40 Beobachtungen pro Tag zu Wolkenformation, Temperatur und Windrichtung hat der Polizeihauptkommissar bei den langfristigen Vorhersagen eine Trefferquote von 60 Prozent.

Auch Inspektionschef Georg Wittmann hat Zeit für seine Hobbys: Er liebt den Sport. Weltmeister müssen sich fit halten. Die 20-Kilogramm-Hantel für die Bizepsbildung liegt griffbereit neben dem Schreibtisch. Wittmann ist Mountainbiker, Fußballer, Skifahrer und leitet eine Frauengymnastikgruppe. „Die 30 Damen bücken und strecken sich auf mein Kommando.“ Eigentlich sollte er einmal den elterlichen Bauernhof übernehmen, doch er wurde lieber Metzger. Der Einberufung zu den Gebirgsjägern entging er dann mit seiner Meldung zur Polizei. „Vielleicht wäre ich als Metzgermeister heute reicher, als Polizist bin ich auf jeden Fall zufriedener.“ Da kann man nachdenklich werden.

In solchen Augenblicken wandert Wittmanns Blick an die Wand über seinem Schreibtisch. Dort hängt die Statistik, die den Verlauf über mehrere Jahre zeigt, genau über seinem Schreibtisch, die Werte von Pegnitz, ganz an der Spitze und extra rot markiert. Von Januar bis Mai 82,1 Prozent aufgeklärte Straftaten (von den gemeldeten natürlich). Das Rekordergebnis stammt aus dem April dieses Jahres und liegt bei 94,3 Prozent. Was für eine Statistik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen