: Arbeitswütig, professionell und diplomatisch
Generationswechsel beim Türkischen Bund: Eren Ünsal und Nurdan Kütük sind die neuen Sprecherinnen der liberalen türkischen Interessenvertretung. Trotz ihres Engagements in zahlreichen weiteren Organisationen sind sie in der Community noch relativ unbekannt ■ Von Julia Naumann
Ein bißchen wirken sie wie das doppelte Lottchen: Sie sind beide fast gleich alt, drücken sich eloquent und scharfzüngig aus, mischen sich gern und oft ein. Selbstbewußtsein ist nicht ihr Problem. Beide agieren äußerst professionell.
Und das, obwohl Eren Ünsal und Nurdan Kütük erst seit einer Woche im Amt sind. Die 30jährige Ünsal und die 29jährige Kütük haben eine schwere Nachfolge angetreten: Sie sind die beiden neuen Sprecherinnen des Türkischen Bundes Berlin (TBB), gemeinsam mit dem 44jährigen Cumali Kangal. Der als liberal geltende TBB vertritt 24 Mitgliedsorganisationen.
Ende Juni traten die beiden prominenten Sprecher Emine Demirbüken und Safter Cinar zurück, die den Verband neun Jahre lang nach außen vertreten haben. Anlaß für den schnellen Rücktritt waren Differenzen über eine ausländerpolitische Rede von Demirbüken (die taz berichtete). Regulär hätte die Neuwahl für die nächsten zwei Jahre erst im Winter angestanden.
„Es ist alles ein bißchen schnell gegangen“, resümiert Ünsal, wirkt dabei aber äußerst zufrieden. In der vergangenen Woche habe sie wegen der vielen Termine kaum geschlafen, manchmal sogar vergessen zu essen. Aber Tempo und ein bißchen Streß ist sie gewöhnt. Denn Ünsal promoviert am Fachbereich Erziehungswissenschaften zum Thema „Gewalt gegen Frauen in türkischen Migrantenfamilien“, arbeitet in der Kindergartenleitung des türkischen Elternvereins, ist im Vorstand des Türkeizentrums, außerdem im Vorstand des TBB und jetzt auch noch deren Sprecherin. „Das ist viel“, sagt sie und grinst. „Eigentlich habe ich kein Privatleben.“ Aber „Action“ habe sie eben gerne.
Kütük kann mindestens ebenso viele Aktivitäten aufzählen: Sie studiert Deutsch und Französisch auf Lehramt, steckt mitten im Examensstreß, ist im Vorstand des Büros gegen ethnische Diskriminierung, macht antirassistisches Training mit Polizeischülern ... Als „kampflustig und ehrgeizig“ bezeichnet der einflußreiche Geschäftsführer des TBB, Kenan Kolat, die beiden. Sie wären durch die intensive Verbandsarbeit seit einiger Zeit auf eine mögliche Sprecherinnenrolle vorbereitet worden. „Sie verkörpern eine neue Generation im Türkischen Bund“, sagt Kolat. Der 53jährige Safter Cinar, ein expliziter Linker und traditioneller Gewerkschafter, sprach eher die erste Generation der türkischen Einwanderer an, die 37jährige Emine Demirbüken, Ausländerbeauftragte in Schöneberg und liberales CDU-Mitglied, deren Kinder. Der dritte Sprecher, Cumali Kungal, kann hier vielleicht eine Lücke füllen: Der Betriebsrat war bis vor kurzem Vorsitzender des beliebten Fußballclubs Göztepe. Der grüne Ozcan Mutlu, der für die Abgeordnetenhauswahlen kandidiert, freut sich über den Generationswechsel. Aber: Ünsal und Kütük seien sowohl in der türkischen als auch deutschen Community relativ unbekannt.
Ünsal kam mit dreieinhalb Jahren nach Berlin und wuchs in Reinickendorf auf. Ihr Vater ist Handwerker. Sie machte die mittlere Reife, lernte dann Arzthelferin. Das war ihr aber nicht genug, sie machte eine weitere Ausbildung: Medizinisch-Technische Assistentin (MTA). Auch das war ihr zuwenig. Neben ihrer Arbeit als MTA holte sie an der Abendschule ihr Abitur nach und studierte dann Erziehungswissenschaften.
Auch Kütük ist in der Türkei geboren, kam erst zur Einschulung nach Deutschland. „Ich konnte in der Schule anfänglich kein Wort Deutsch.“ Doch das änderte sich schnell, nach einem Jahr sprach sie die fremde Sprache fast perfekt.
Für beide war Ausländerfeindlichkeit eines der prägenden Motive, sich migrantenpolitisch zu engagieren. Kütuk hat Xenophobie insbesondere auf dem Rückert-Gymnasium in Schöneberg erlebt. In der 8. Klasse beschimpfte eine Lehrerin die Türken als Nutznießer, weil wegen ihnen Steuergelder verschwendet würden. Das hat Kütük nicht ertragen: „Wegen dieser Lehrerin habe ich die Schule gewechselt“, erinnert sie sich. Doch verbittert oder gar resignativ sei deshalb nicht, fügt sie schnell hinzu. Ganz im Gegenteil. Im TBB beschäftigt sie sich heute am intensivsten mit Bildungspolitik.
Ünsal, die im Gespräch wesentlich resoluter als ihre Kollegin ist und manchmal auch einen strengen Ton in der Stimme hat, wollte schon als Kind etwas verändern. „Meine Mutter hat neulich einen Schulaufsatz über meine Berufswünsche gefunden“, sagt Ünsal. Dort schrieb sie, daß sie Lehrerin werden und etwas gegen Ausländerfeindlichkeit machen wolle. Ünsal möchte sich in der nächsten Zeit verstärkt um Integrationspolitik kümmern, was für sie „Gleichberechtigung ohne den Verlust kultureller Identität“ bedeutet.
Und dann geben sich die beiden fast noch ein wenig konservativ, aber höchst diplomatisch. Ändern, sagen sie unisono, wollen sie an den Inhalten und der Arbeit des TBB eigentlich nichts. Aber: „Die Wege zum Ziel werden zukünftig anders als früher sein.“
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