: Sierra Leones Kriegsparteien schließen Frieden
■ Westafrikas brutalster Bürgerkrieg geht zu Ende. Die Rebellenbewegung RUF wird in die Regierung von Präsident Kabbah aufgenommen. Nigerias Eingreiftruppe bleibt stationiert
Berlin (taz) – Die Regierung und die Rebellen des westafrikanischen Sierra Leone sind gestern in Togo zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages zusammengekommen. Das Abkommen wurde nach mehrwöchigen Verhandlungen unter Vermittlung mehrerer westafrikanischer Staaten gestern früh fertiggestellt. „Beide Seiten haben der Unterzeichnung zugestimmt“, sagte Togos Außenminister Kokoh Koffigoh.
Das Abkommen sieht die Aufnahme der Rebellenbewegung „Vereinigte Revolutionäre Front“ (RUF) in die Regierung von Präsident Ahmed Tejan Kabbah vor. Sie soll vier volle und vier stellvertretende Ministerposten erhalten. RUF-Führer Foday Sankoh wird Leiter einer Bergbaukommission mit dem Status eines Vizepräsidenten.
Die RUF, die 1989 als Bauernbewegung entstand, kämpft seit 1991 gegen die wechselnden Regierungen Sierra Leones. Der brutalste Bürgerkrieg Westafrikas hat über 100.000 Menschenleben gefordert, 500.000 Menschen außer Landes getrieben und die Hälfte der vier Millionen Sierraleoner zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht. Um die Machtergreifung der RUF zu verhindern, entsandten mehrere westafrikanische Länder unter Führung Nigerias Truppen nach Sierra Leone. Die 15.000 Mann starke „Ecomog“-Eingreiftruppe hat auf Regierungsseite faktisch die Macht. 1998 setzte sie den 1996 gewählten Präsidenten Kabbah wieder ein, nachdem er 1997 in einem von der RUF unterstützten Militärputsch gestürzt worden war.
Trotz der internationalen Militärintervention kontrolliert die RUF immer noch zwei Drittel des Landes. Im Januar gelang ihr sogar beinahe die Einnahme der Hauptstadt Freetown. Die blutige Rückeroberung durch die Ecomog, bei der große Teile der Stadt zerstört wurden, bildete den finsteren Höhepunkt eines Krieges, der von beiden Seiten mit extremer Brutalität geführt wird.
Ende Mai schlossen Sierra Leones Kriegsparteien einen Waffenstillstand und nahmen Friedensverhandlungen auf. Ihr erfolgreicher Abschluß war bis zum letzten Moment fraglich. Präsident Kabbah und RUF-Chef Sankoh hatten das jetzt vorliegende Abkommen eigentlich schon vor zwei Wochen ausgehandelt. Dann jedoch lehnten es die RUF-Kommandanten in Sierra Leone ab, da es nicht der ursprünglichen Rebellenforderung nach Kabbahs Rücktritt, Bildung einer Übergangsregierung der Nationalen Einheit und Abzug der Ecomog entsprach. Erst auf Zureden von Charles Taylor, Präsident des benachbarten Liberia, gaben die RUF-Generäle nach. Taylor kämpfte selbst jahrelang gegen eine Ecomog-Interventionstruppe, kam dann aber nach Abschluß eines Friedensabkommens auf demokratische Weise an die Macht.
In Freetown wird das Friedensabkommen als Schulterschluß zwischen Warlords gewertet, aber als notwendiges Übel hingenommen. „Sierra Leones politische Kultur ist genauso verbrecherisch wie die Rebellion“, schreibt der Kommentator Sankara Kamara. „Die RUF ist ein untrennbarer Bestandteil einer gescheiterten Gesellschaft, deren Politikverständnis auf Diebstahl und der kriminellen Ausblutung der Bürger beruht. Sie ist das schwarze Schaf einer Familie, die von schamlosen Eltern in die Verzweiflung getrieben worden ist.“
Weil sich beide Seiten massiver Verbrechen schuldig gemacht haben – von Massakern an der Zivilbevölkerung bis zum Ausverkauf der Diamantenförderung an Mafiahändler – wollen beide Seiten unter die Vergangenheit einen Schlußstrich ziehen. Der RUF ist offenbar eine weitgehende Straffreiheit für vergangene Menschenrechtsverletzungen zugesagt worden, was zivilgesellschaftliche Gruppen enttäuschen dürfte.
Ein wichtiges Element im Friedensprozeß war die Kriegsmüdigkeit Nigerias, dessen neue gewählte Regierung die außenpolitischen Abenteuer der früheren Militärdiktaturen beenden will. RUF-Chef Foday Sankoh und Nigerias neuer Präsident Olusegun Obasanjo fanden Gemeinsamkeit in dem Umstand, daß sie beide unter der nigerianischen Militärdiktatur in nigerianischen Gefängnissen gesessen haben. Der nigerianische Ecomog-Major D. Akinwumi gab ketzte Woche zu, daß die RUF militärisch nicht zu besiegen ist. „Ihre Macht im Dschungel ist größer als die der Ecomog“, sagte er. „Wir haben so oft versucht zu verstehen, wie sie operieren, aber wir haben es nicht geschafft. Wir werden glücklich sein, wenn die Friedensgespräche erfolgreich sind.“ Dominic Johnson
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