: Ein Persilschein für die deutsche Wehrmacht
Die Wehrmacht galt nach dem Zweiten Weltkrieg lange als moralisch integer – ein Opfer des irren Kriegsherrn Adolf Hitler. Mitverantwortlich für diesen Mythos waren die Alliierten: In der amerikanischen „Historical Division“ wurden ranghohe deutsche Offiziere damit betraut, die Geschichte des Weltkriegs aufzuschreiben ■ Von Florian Opitz
Die deutsche Wehrmacht hat den Krieg zwar verloren, doch dafür nach 1945 ihren vielleicht größten Sieg errungen: den Sieg im Kampf um ein positives Bild der Wehrmacht in der Öffentlichkeit.“ So lautet ein Scherz unter Historikern. Und tatsächlich: Das Ansehen der Armee Hitlers hat die ersten fünfzig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bis zurAuseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung fast unbeschadet überstanden.
Der in den Trivialromanen, Illustrierten und Kinofilmen der Nachkriegszeit geschilderte anständige und tragische Kampf der deutschen Wehrmacht hat das öffentliche Bewußtsein der Nachkriegsgesellschaft tief geprägt. Schuld an dem von Deutschland entfachten Zweiten Weltkrieg, an Holocaust und Völkermord hatten demnach einzig Hitler und die SS. Auch die bundesdeutsche Forschung und die ihrer westlichen Verbündeten widersprach diesem Szenario bis in die siebziger Jahre kaum.
Wie konnte eine solche Legende entstehen und wie läßt sich die erstaunliche Erfolgsstory der Lüge von der sauberen Wehrmacht erklären? Die Antwort mutet beinahe verschwörungstheoretisch an: Die Legende wurde sorgfältig von ehemaligen Wehrmachtsgenerälen im öffentlichen Bewußtsein verankert. Gelegentlich sogar mit Hilfe der Alliierten.
Schon am 9. Mai 1945 begann die Wehrmacht, die Legende von der eigenen Unschuld zu konstruieren. Im letzten Wehrmachtsbericht hieß es, der Krieg sei zwar verloren, doch die Wehrmacht habe ihn „heldenhaft“ und „ehrenvoll“ geführt. Vom Vernichtungskrieg, von der Beteiligung an Holocaust und Völkermord war keine Rede. Die Marschrichtung war damit vorgegeben. Komplexere Entlastungsstrategien sollten folgen.
Als im November 1945 das Internationale Militärtribunal in Nürnberg zusammentrat und den deutschen Generalstab als verbrecherische Organisation anklagte, hatten die Generäle Erich von Manstein, Franz Halder, Walter Warlimont und Siegfried Westphal bereits eine gemeinsame Denkschrift verfaßt, die die Wehrmacht von jeder Schuld freisprechen sollte. Die Prozesse des Nürnberger Militärtribunals enthüllten ein ganz anderes Bild der Wehrmacht und ihrer Führung. Das Militärtribunal konnte den Generalstab und das Oberkommando der Wehrmacht aus formalen Gründen zwar nicht als verbrecherische Organisation verurteilen. Doch dies kam keineswegs einem inhaltlichen Freispruch gleich. Sofort gingen die Militärs daran, das Urteil in ihrem Sinne in der Öffentlichkeit als Entlastung zu verkaufen. Mit Erfolg. Bis heute wird die Behauptung, die „Siegerjustiz“ hätte die Wehrmacht von aller Schuld freigesprochen, immer wieder vorgebracht.
Aber der Einfluß der Wehrmachtselite ging noch weiter. Unmittelbar nach Kriegsende hatte die amerikanische Besatzungsmacht zahlreichen ehemaligen Generalen und hohen Offizieren der Wehrmacht in der Gefangenschaft die Möglichkeit geboten, ihre Sicht des Krieges festzuhalten. Unter der Schirmherrschaft der im Januar 1946 von der Historical Division, der Geschichtsabteilung der US-Armee, geschaffenen „Operational History (German Section)“ verfaßten bald 328 deutsche Offiziere in den Kriegsgefangenenlagern in Allendorf bei Marburg und später auch in Garmisch Berichte zur Geschichte des Krieges.
Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts waren die Amerikaner an den Erfahrungen interessiert, die deutsche Militärs im Kampf gegen die Sowjetunion gewonnen hatten: Wie führt man Krieg gegen die Sowjetunion? Welche propagandistischen Mittel wirken im Osten? Nach anfänglichen Vorbehalten gegenüber einer „Kollaboration“ mit dem ehemaligen Feind erkannten die deutschen Generäle bald die Chance, die eine solche Zusammenarbeit bot.
Für die Leitung des Projekts konnten die Amerikaner den ehemaligen Generalstabschef des Heeres, Generaloberst Franz Halder gewinnen. Halder war bis 1942 für die Planung und Ausführung des rassenideologischen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion verantwortlich. Halders Stellvertreter in der Leitung der Historical Division wurde General Adolf Heusinger, im Krieg Chef der Operationsabteilung im Oberkommando des Heeres (OKH), der nach eigenen Angaben von „der systematischen Reduzierung des Slawen- und Judentums“ im Krieg gegen die Sowjetunion wußte. Professor Bernd Wegner von der Universität der Bundeswehr: „Da die Liste derer, die für die deutsche Sektion der Historical Division arbeiteten, sich weitgehend wie die Stellenbesetzungsliste des OKH liest, ist es kaum verwunderlich, daß Halder und seine Mitarbeiter versuchten, die Wehrmacht und insbesondere das Heer als mißbrauchtes Instrument darzustellen, das Opfer der Hitlerschen Politik und nicht Täter war.“
In den Studien der Historical Division wurde zwischen dem sauberen militärischen Krieg der Wehrmacht und dem verbrecherischen und völkerrechtswidrigen Krieg der SS unterschieden. Ausführlich wurde das militärische Können der Wehrmacht sowie die außergewöhnliche Tapferkeit und Durchhaltebereitschaft der deutschen Soldaten gepriesen. In allen wesentlichen Punkten ist diese Sicht der Geschichte von der Forschung mittlerweile widerlegt.
Vor allem aber bemühten sich die Mitarbeiter der Historical Division, die Spuren des Vernichtungskriegs zu verwischen. Aus gutem Grund: Nachdem Teile der Wehrmachtsspitze inzwischen vom Nürnberger Gerichtshof zum Tode verurteilt worden waren, befürchteten auch die Mitarbeiter der Historical Division, sich bald für Kriegsverbrechen vor Gericht verantworten zu müssen. Vertuschungsaktionen verliefen dabei keineswegs konspirativ, sondern waren offizielles Programm. In Dienstanweisungen rief die deutsche Leitung der Historical Division dazu auf, „deutsche, nicht amerikanische Geschichtsschreibung“ zu betreiben und „dem deutschen Soldaten ein Denkmal zu setzen.“ Vorgesetzte oder Untergebene dürften nicht belastet werden, und die Leistungen der Truppe seien gebührend zu würdigen. Ein als „wissenschaftliche Kommission“ getarntes Zensurgremium wachte über die Ausführung derartiger Weisungen. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Historical Division, General Geyr von Schweppenburg, hat später bestätigt, daß „es durchaus möglich gewesen sei, das ein oder andere Belastungsmaterial, das im Nürnberger Prozeß hätte verwendet werden können, verschwinden zu lassen.“ Manchmal seien dabei sogar die Amerikaner behilflich gewesen.
Bis 1948 entstanden so etwa 1.000 Manuskripte mit insgesamt 34.000 Seiten. Als die letzten Verträge mit den deutschen Mitarbeitern 1961 ausliefen, lagen mehr als zweieinhalbtausend Studien vor. Doch die historiographische Bedeutung der Arbeit der Historical Division liegt vor allem im Einfluß, den die Wehrmachtselite durch diese Beiträge und durch Memoiren wie Mansteins „Verlorene Siege“, Denkschriften wie Halders „Hitler als Feldherr“ und Erlebnisberichte auf die Historiker der Nachkriegszeit hatten.
Die Täter wurden zu Chronisten ihrer eigenen Taten. „Sie hatten quasi ein Informationsmonopol,“ so Bernd Wegner. „Viele Historiker wollten auch gar kein anderes Bild rekonstruieren, da sie das grundsätzliche Weltbild, das diesen Arbeiten zugrunde lag, teilten. Dieses Bild entsprach natürlich dem, das große Teile der deutschen Öffentlichkeit haben wollten. Es trug zur Exkulpation all derer bei, die in der Wehrmacht gekämpft hatten – und das war der größte Teil der männlichen Bevölkerung Deutschlands.“
Franz Halder wurde 1948 in einem Entnazifizierungsverfahren vorgeworfen, sich „dem Nationalsozialismus und dessen verbrecherischen Plänen mit Haut und Haaren verschrieben“ und bis 1942 „die militärischen und politischen Pläne Hitlers verwirklicht“ zu haben. Er sei mitverantwortlich für den Befehl zur Aufhebung der Kriegsgerichtsbarkeit im Krieg gegen die Sowjetunion und für den berüchtigten Kommissarbefehl. Seine Verurteilung als Kriegsverbrecher schien sicher. In dieser prekären Situation kam ihm sein neuer Arbeitgeber, die US-Armee, zur Hilfe. Sie verhinderte eine Anklage, indem sie ihn nicht für einen Prozeß freistellte. Ab 1950 fertigte er für die Bundesregierung Expertisen über die „Wiederbewaffnung Deutschlands“ und die militärische Spitzengliederung zukünftiger deutscher Streitkräfte an.
1961 erhielt Halder für seine Arbeit in der Historical Division den höchsten amerikanischen Orden für Zivilangestellte der amerikanischen Streitkräfte. Sein Stellvertreter Adolf Heusinger wurde erster Generalinspekteur der Bundeswehr und später als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses der Nato deren ranghöchster Offizier. Nur zwei von zahlreichen Modellkarrieren, die ehemalige Mitarbeiter der Historical Division in der Bundesrepublik machten.
Die Historical Division hatte ihre Arbeit ordentlich gemacht und fast alle schwarzen Flecken aus den Waffenröcken der deutschen Militärelite gereingt. Die junge Bundesrepublik konnte nun beruhigt auf diese Elite zurückgreifen.
Florian Opitz, 25, lebt als freier Journalist und Filmemacher in Köln
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