: Der Hebel zum Atomausstieg
Moderne Gas- und-Dampfkraftwerke können wirtschaftlicher sein als Atommeiler, belegt ein neues Gutachten für die Hamburger Umweltbehörde ■ Aus Hamburg Sven-Michael Veit
Hamburg (taz) – „Daran werden die Atomkraftbefürworter zu knabbern haben“, prophezeit Hamburgs grüner Umweltsenator Alexander Porschke. Denn moderne Gas- und Dampfturbinenkraftwerke (GuD) können im Grundsatz Strom kostengünstiger produzieren als Atomkraftwerke. Das belegt ein Gutachten der Berliner Consultingfirma LBD und des Freiburger Öko-Instituts, das Porschke gestern in der Hansestadt vorstellte.
Der Umweltsenator ist optimistisch, nun einen „geeigneten Hebel für den Atomausstieg“ gefunden zu haben. In drei Varianten von Wirtschaftlichkeitsberechnungen über die vier norddeutschen Atomkraftwerke, die von den Hamburgischen Electricitätswerken (HEW) gemeinsam mit der Veba-Tochter PreussenElektra betrieben werden, kommt die Expertise zu eindeutigen Resultaten: „Der kurzfristige Ausstieg aus der Kernenergienutzung und die Errichtung von GuD-Kraftwerken ist mit deutlichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden.“ Die Gutachter stützen sich, so LBD-Geschäftsführer Ben Schlemmermeier, bei ihren Berechnungen auf „öffentlich zugängliche und damit überprüfbare Daten der Betreiber“, zum Beispiel Jahresbilanzen.
Danach liegen die Erzeugungskosten pro Kilowattstunde (kWh) Strom im Durchschnitt der vier Atommeiler bei 10,24 Pfennig; die Bandbreite reicht, sagtProjektleiter Bernhard Lokau, „von 6 bis 31 Pfennig“. Berücksichtigt wurde dabei das im März vom Bundestag verabschiedete Steuerentlastungsgesetz, das AKW-Betreiber zur Verzinsung ihrer Rücklagen verpflichtet und somit die teilweise „Subventionierung der laufenden AKW-Kosten“ unterbindet. Allein die HEW haben danach Rücklagen von 10,5 Milliarden Mark gebildet. Mit den Zinseinnahmen von durchschnittlich 138 Millionen Mark jährlich konnten sie bisher jede Kilowattstunde selbst produzierten Stroms mit 1,45 Pfennig „heimlich subventionieren“. Diese Refinanzierung entfalle künftig und führe zu „realen Gestehungskosten“.
Für GuD-Kraftwerke ergibt sich hingegen ein Erzeugungspreis von lediglich 3,98 Pf/kWh. Dieser basiert auf einem Einkaufspreis für Erdgas von 1,2 Pf/kWh, berücksichtigt aber keine Besteuerung. „Wir haben die steuerliche Gleichbehandlung von Erdgas mit der steuerbefreiten Kernenergie unterstellt“, begründete Lokau. Unter diesen Annahmen würden die Betreiber bis zu 250 Millionen Mark an sogenanntem „Barwertgewinn“ zum Stichtag des Abschaltens aller vier Reaktoren einstreichen, erläuterte er. Damit sei vielen Berechnungen der deutschen Atomkonzerne die Grundlage entzogen: „Der Ausstieg rechnet sich.“
In den zur Zeit unterbrochenen Konsensgesprächen mit der rot-grünen Bundesregierung pocht die Energiewirtschaft darauf, daß nur bei 40 Vollastjahren für jedes einzelne AKW keine wirtschaftlichen Nachteile entstünden. Diese Sichtweise wird durch das Gutachten zwar nicht vollkommen, aber „bedingt“ widerlegt, erklärte Christof Timpe vom Öko-Institut: „Wir haben vier der 19 deutschen AKW unter die Lupe genommen, je zwei Siedewasser- und zwei Druckwasserreaktoren. Darunter sind Altanlagen wie das 1972 erbaute AKW Stade und neuere wie Brokdorf. Diese Bandbreite legt ähnliche Schlüsse für die übrigen Atommeiler zumindest nahe.“
Für die vier untersuchten AKW an der Elbe aber sind die Befunde eindeutig. Das AKW Krümmel könne „bei äußerst optimistischen Annahmen“ mit GuD-Kraftwerken in etwa mithalten, der Meiler Brokdorf produziere kostengünstiger. Bei den AKW Stade und Brunsbüttel aber „ist die kurzfristige Abschaltung aus wirtschaftlichen Gründen dringend zu empfehlen“, heißt es. Sollten die Betreiber dieser Anregung folgen, winkt ihnen ein Riesengeschäft: Für diesen Fall haben die Gutachter einen Reingewinn von satten 472 Millionen Mark errechnet. Studie unter http://www.hamburg.de/behoerden/umweltbehoerde/welcome.htm
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