: Knapp am Bruch vorbei
■ Abschiebungen: Hamburgs SPD/GAL-Koalition legt ihren wochenlangen Krach in einem nächtlichen Sitzungsmarathon bei
Hamburg (taz) – Erst mitten in der Nacht waren die Kontrahenten müde. Und einig. „Wir haben eine politische Verständigung gefunden“, erklärten übereinstimmend Holger Christier, SPD-Fraktionschef in der Hamburgischen Bürgerschaft, und seine Amtskollegin Antje Möller von der Grün-Alternativen Liste (GAL). Gestern früh um halb drei war das Zerbrechen der rot-grünen Koalition über der verschärften Abschiebepolitik von SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage und der ihm unterstellten Ausländerbehörde gerade so eben vermieden worden.
Auf sieben Richtlinien für humanere Abschiebungen haben sich die Spitzen der Parteien und Fraktionen sowie der Innensenator im nächtlichen Sitzungsmarathon geeinigt. Danach will sich nun auch Hamburg einer sogenannten Altfallregelung nach Bonner Vorbild nicht länger verschließen und Flüchtlingen bei „zielstaatenbezogenen Abschiebehindernissen“ künftig Aufenthaltsbefugnisse erteilen.
Bislang wurden an der Elbe viele Flüchtlinge auch aus Kriegsgebieten nur „geduldet“: Sie erhielten keine Arbeitserlaubnis, lebten deshalb ausschließlich von Sozialhilfe, ließen die amtliche Statistik auf 17.600 angeblich „ausreisepflichtige Ausländer“ anschwellen und konnten nie davor sicher sein, im Morgengrauen von der Polizei unsanft geweckt und in das nächste Flugzeug verfrachtet zu werden. Als weiteren Erfolg verbuchen die Grünen, daß ärztliche Atteste von der Ausländerbehörde nicht mehr pauschal als „Gefälligkeitsgutachten“ diskreditiert werden dürfen. Mit dieser Diffamierung hatte sie auch die Hamburger Ärztekammer gegen sich aufgebracht.
Daß selbst um solche Selbstverständlichkeiten sechs Wochen lang heftig gerungen werden mußte, macht das Ausmaß an Gnadenlosigkeit der bisherigen Hamburger Abschiebepolitik deutlich. Eine Vorlage der Innenbehörde vom 28. April zur „beschleunig- ten Abschiebung rechtskräftig abgelehnter Asylbewerber“ hatte Grüne und auch große Teile der SPD, Anwaltsverbände und Ärztekammer und natürlich auch die Flüchtlingsinitiativen in Rage gebracht. Darin war unter anderem rigoros Abschiebehaft für Asylbewerber gefordert und für die vermehrte Abschiebung auch einzelner Familienmitglieder plädiert worden. Zudem sollten kranke, traumatisierte oder suizidgefährdete Asylbewerber künftig in Begleitung von Ärzten abgeschoben werden.
Noch am Mittwoch hatten sich die grüne Fraktionschefin und der rote Innensenator in einer heftigen Parlamentsdebatte öffentlich gezofft. Seine Vorlage sei „nicht vom Tisch“, hatte Wrocklage beharrt, zur Zeit werde dieser „Diskussionsvorschlag nur noch nicht umgesetzt“.
Antje Möller hatte dem Regierungspartner gedroht: „Wenn dieses Papier nicht vom Tisch kommt, brauchen wir über diese Koalition gar nicht mehr zu reden.“ Seit gestern früh um halb drei liegt es im Papierkorb.
Sven-Michael Veit
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen