: Das Fenster ist wie die Mauer
■ Eigentlich sollen die unabhängigen Programmoasen bei RTL Vielfalt bringen. Doch auch bei der jüngsten Ausschreibung haben wohl nur TV-Macher Chancen, die auf Linie sind
Szenen wie solche fallen im Abendprogramm von RTL nicht weiter auf: Frauen lecken an Gummipenissen, streichen etwas ungelenk mit der Hand über die Dildos. Eine Dame erläutert, daß hier der Umgang mit dem männlichen Geschlechtsteil unterrichtet wird.
Wer da Nachholbedarf hat, kann ihn bei den Privatsendern fast jeden Abend stillen. Aber die Szenen könnten auch für Fernsehbeobachter lehrreich sein, die das Einmaleins des Pettings bereits beherrschen. Die Einblicke in das Schwanzseminar vor einigen Wochen im RTL-Abendprogramm sind nämlich ein „Beitrag zur Vielfalt“ im Fernsehen, jedenfalls wenn man an die Wege deutscher Medienpolitik glaubt. Wir sehen eines der unabhängigen Kulturfenster, die laut Rundfunkstaatsvertrag „einen zusätzlichen Beitrag zur Vielfalt (...) insbesondere in den Bereichen Kultur, Bildung und Information leisten“ sollen. Die Hannoveraner Firma Center-TV, die hier sendet, bekam 1998 den Zuschlag und füllt ihre Sendezeit seitdem mit Bildungsformaten wie „Willy Bogners Snow Show Cool Trend“ – allenfalls die Schwulenshow „Anders Trend“ genügte dem Vielfaltsauftrag.
Doch die Hannoveraner haben alle Chancen, wieder den Zuschlag für die lukrativen Sendeplätze zu bekommen, wenn sie nun neu vergeben werden – wahrscheinlich neben Alexander Kluges Firma DCTP („10 vor 11“, „Spiegel-TV“). Zehn Firmen haben sich nun beworben, außer DCTP und Center-TV u.a. auch „Focus-TV“ und das einstige Kulturfenster Kanal 4 („Talk 2000“). Die Neuausschreibung ist nötig, weil die Sendelizenz von RTL bei Niedersachsens Medienanstalt NLM ausläuft.
Die NLM darf entscheiden, doch RTL bekommt ein gehöriges Mitspracherecht. Während Kluges Formate bei RTL jüngst unter scharfem Beschuß standen, hat sich der Sender mit Center-TV trefflich arrangiert. Soweit, daß Center-TV-Redakteure in Köln im gleichen Gebäude quasi Tür an Tür mit RTL-Leuten arbeiten, wie Mitarbeiter erzählen, und daß die RTL-PR Center-TV-Shows präsentiert wie RTL-Produktionen.
Die teils wirren, teils genialen TV-Macher von Kanal 4 hoffen indes wenigstens darauf, aufgrund eines Vertrags mit Sat.1 und RTL wieder senden zu dürfen, den die Partner vor über einem Jahr mit der NRW-Medienanstalt NRW abgeschlossen haben – im Gegenzug bekamen die Sender lukrative Frequenzen. Kanal 4 wurde versprochen, Programme zu liefern, doch ihre Vorschläge wurden stets abgelehnt, die Verhandlungen köcheln auf allerkleinster Flamme weiter. „Wir reden weiter miteinander“, sagt Kanal-4-Geschäftsführer Joachim Ortmanns wacker. Doch von den ehemals neun Partnern verließen sechs das Kanal-4-Schiff, der einstige Geschäftsführer Eberhard Heyse bewirbt sich nun mit einer neuen Firma.
Bei Sat.1 bleibt fenstermäßig alles beim alten. Dort füllt Josef Buchheit mit seiner Firma News and Pictures die „unabhängigen“ Fenster. Daß Buchheit vergangene Woche einen Millionendeal mit dem Sat.1-Gesellschafter Leo Kirch für ein gemeinsames Joint-venture schloß, stört die Sat.1-Lizenzanstalt, die Mainzer LPR, nicht: „Wir müssen auch gewährleisten, daß Herr Buchheit sich im Markt etablieren kann“, sagt LPR-Justitiar Harald Zehe. lm‚/B‘
Daß der Mann, der bei Sat.1 „unabhängige“ Fenster liefert, eben eine Firma mit Sat.1-Teilhaber Kirch gründete, ist egal
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