piwik no script img

Der Krieg in Kaschmir geht zu Ende

Pakistan zieht seine Kämpfer aus der indischen Region Kargil zurück und spricht von „Zerstreuung“, Indien spricht dagegen von einem Sieg  ■   Aus Delhi Bernard Imhasly

Erstmals nach fast zwei Monaten schweigen in der Region Kargil im indischen Teil Kaschmirs die Kanonen. Touristen konnten die Grenzstraße zwischen Srinagar und Ladakh jetzt wieder befahren. Damit wurden die Haubitzen der indischen Artillerie nach Wochen pausenloser Feuerstöße zu Foto-Objekten. Die Einstellung der militärischen Operationen Indiens war das Resultat erster eindeutiger Signale, daß sich die Eindringlinge aus Pakistan zurückziehen. Nach indischen Angaben wurden in diesem Krieg 691 Kämpfer aus Pakistan und 398 indische Soldaten getötet; 578 Inder wurden verwundet.

Am Sonntag morgen bestätigte Brajesh Mishra, der Sicherheitsberater der indischen Regierung, diese Informationen, am Abend kündigte der pakistanische Außenminister Sartaj Aziz an, sein Land habe die Deeskalation in den Sektoren Mushkoh und Kaksar begonnen. Zugleich gab er bekannt, die beiden Chefs für militärische Operationen hätten sich bei einem Treffen am Grenzposten Attari im indischen Punjab über einen gestaffelten Rückzug mit anschließender Feuerpause geeinigt. Die laut indischem Sprecher von Pakistan akzeptierte Forderung lautete, bis zum Morgen des 16. Juli müsse der Abzug vollendet sein. Indien werde den Rückzug nicht behindern, keine Luftwaffeneinsätze durchführen und bestimmte Waffen nicht einsetzen.

Die Entspannung folgt eine Woche nachdem sich Pakistans Premier Nawaz Sharif in Washington zu „konkreten Schritten“ für eine Lösung des schwersten Konflikts zwischen Indien und Pakistan seit dem Krieg von 1971 bereiterklärt hatte. Am Donnerstag hatte in Islamabad der Verteidigungsausschuß des Kabinetts, dem auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte angehört, an die „Freiheitskämpfer“ appelliert, ihre Aktionen einzustellen. Der 15köpfige oberste „Jihad-Rat“ wies das Ansinnen zurück. Doch ein Treffen mit dem Premier überzeugte die Mehrheit, daß eine weitere Besetzung der Höhenstellungen auf indischem Gebiet ohne die zumindest logistische Unterstützung der Armee chancenlos ist. Sayed Salauddin, der Vorsitzende des Jihad-Rats, sagte, die „Jihadis“ würden „aus strategischen Gründen die Positionen anpassen“. Auch Aziz sprach von einer „Zerstreuung“ der Kämpfer statt von einem Rückzug.

Aus indischer Sicht gibt es keinen Zweifel, was die Worte bedeuteten – eine Niederlage Pakistans an der ganzen Front. Ein Militärsprecher betonte, die Säuberung der Sektoren von Dras und Batalik sei ohnehin bereits abgeschlossen gewesen, und der Rückzug aus den anderen Gebieten habe nur eine militärische Niederlage vorweggenommen. Das Treffen der beiden Operationschefs habe nicht den Zweck gehabt, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Es gehöre aber nicht zur Tradition der indischen Armee, einem fliehenden Feind in den Rücken zu schießen. Premierminister A. B. Vajpayee war ebenfalls bemüht, den Eindruck zu vermeiden, daß die Waffen bereits schweigen. Bis der letzte Zentimeter Land wieder in indischer Hand liege, werde es keinen Waffenstillstand geben. Gestern kam es wieder zu sporadischem Artilleriefeuer, das laut Indien von Pakistan aus eingesetzt hatte.

Pakistans Außenminister Aziz forderte eine sofortige Wiederaufnahme des „Lahore-Prozesses“, also des im Februar begonnen Dialogs zwischen beiden Regierungen. Obwohl Indien damit grundsätzlich einverstanden ist, wird es sich Zeit lassen. Am Sonntag wurden die Termine für die Parlamentswahlen bekanntgegeben, die an fünf Wochenenden im September stattfinden. Damit hat der Wahlkampf begonnen. Der jüngste Krieg dürfte das beherrschende Thema sein. Es ist zu erwarten, daß die geschäftsführende Regierungsallianz unter der hindunationalistischen BJP die erfolgreiche Militärkampagne und die noch erfolgreichere diplomatische Offensive zu ihren Gunsten nutzen wird.

Kommentar Seite 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen