Arbeiter, spart! Sozis verlangen Bescheidenheit

Ministerpräsident Beck will Lohnsteigerung auf Inflationsausgleich begrenzen. DGB-Chef Schulte: „Blöd“  ■   Von Hannes Koch

Berlin (taz) – Entgegen seinen üblichen Gewohnheiten sprach der oberste Gewerkschafter der Republik deutlich und klar. „Sie können den Hals nicht vollkriegen“, sagte Dieter Schulte, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

„Sie“ – das waren die Unternehmer, die jahrelang fast nichts für zusätzliche Arbeitsplätze getan hatten, obwohl die Beschäftigten sich mit zwei oder drei Prozent Lohnsteigerung zufriedengaben. „Die Zeit unserer Angebote ist vorbei“, resümierte Schulte und verkündete das „Ende der Bescheidenheit“.

Das war am Neujahrstag 1998. Am vergangenen Wochenende ging bei den Gewerkschaften erneut die Forderung ein, doch bitte bescheiden zu sein. Die Zeiten haben sich geändert, nun regiert die SPD. Absender des Appells deshalb ein SPD-Ministerpräsident: Kurt Beck aus Rheinland-Pfalz.

Beck schlägt vor, daß alle Beschäftigten in den Jahren 2000 und 2001 nur eine Lohnsteigerung in Höhe der Inflationsrate bekommen. Haben manche seit der Lohnrunde 1999 immerhin 100 Mark monatlich mehr auf dem Konto, würden sie in den nächsten beiden Jahren nur 20 oder 30 Mark zusätzlich erhalten – gerade soviel, wie die Preise aller Waren im Durchschnitt steigen.

„Der Lebenstandard ist doch bei uns so gut, daß wir uns diese Kraftanstrengung zumuten können“, ermunterte der Ministerpräsident die Beschäftigten. Das eingesparte Geld könnten die Unternehmen in neue Maschinen investieren, um ihre Stellung auf dem Weltmarkt zu verbessern, sagte Beck zum Hintergrund seiner Initiative. Daß Investitionen oft Arbeitsplätze wegrationalisieren, erwähnte er nicht.

Außerdem kann sich Beck vorstellen, mit dem zusätzlich verfügbaren Geld „die Sicherung und Finanzierung der Sozialversicherungsysteme“ voranzubringen. Wie das funktionieren soll, wollte er noch nicht erklären. Das Bündnis für Arbeit zwischen Bundesregierung, Unternehmerverbänden und Gewerkschaften sei der richtige Ort für Verhandlungen über die neue Bescheidenheit. „Dort kann eine solche Begrenzung zustande kommen“, sagte Beck.

Die Reaktion der Gewerkschaften kam prompt und eindeutig. „Ein blöder Vorschlag“, faßte DGB-Chef Schulte zusammen. Das Ansinnen riecht wieder einmal danach, daß man etwas geben soll, ohne zu wissen, welche Vorteile man wirklich davon haben wird. Denn eine Garantie der Unternehmerverbände über ein paar hunderttausend neue Stellen verlangte Beck nicht. Auch wenn Ökonomen zusätzliche Jobs in Aussicht stellen – sicher ist gar nichts, denn diese könnten dem Wohlwollen der Firmen und ihrer Lobby anheimgestellt bleiben.

Schon Mitte der 90er Jahre schlug das Konzept fehl. Daran erinnern sich die Gewerkschaften. Warum sollten sie jetzt auf eine ähnliche Strategie noch einmal einschwenken? „Löhne runter – Jobs rauf – dieser Mechanismus funktioniert nicht mehr“, sagte selbst der konservative IG-Chemie-Vorsitzende Hubertus Schmoldt. Ohne quantifizierbare Garantien der Betriebe wird sich wohl kein Gewerkschafter auf die Inflationsrate herunterhandeln lassen.

DGB-Chef Schulte hat die Duldsamkeit seiner Klientel im übrigen schon ausgereizt, als er sich grundsätzlich bereit erklärte, über Lohnpolitik im Bündnis zu reden. Mit 0,9 Prozent Lohnsteigerung allerdings würde der Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften weiter um sich greifen. Wofür sind sie schließlich da, als für mehr Geld?

Die Firmenlobby enttäuschte ihre Mitglieder gestern nicht. Für Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gehen Becks Vorschläge „in die richtige Richtung“. Weitere Unterstützung kam aus dem Bundesarbeitsministerium, dessen Staatssekretär Gerd Andres der Initiative seines SPD-Kollegen etwas abgewinnen konnte. SPD-Arbeitsminister Walter Riester hatte die Diskussion um Reduzierung von Einkommenssteigerungen auf die Inflationsrate selbst angestoßen – allerdings zunächst nur für RentnerInnen.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) fügte sich ebenfalls in das bekannte Raster von Ablehnung und Zustimmung. Gegen Lohnzurückhaltung selbst hat Stoiber zwar nichts einzuwenden, aber ihn ärgert, daß die Idee von der SPD kommt. Deshalb bezeichnet er sie als „in der Form unakzeptabel“ – und verweist auf die Tarifautonomie von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, die durch eine politische Verabredung der Lohnhöhe untergraben werde.

Ohne konkrete Garantien der Betriebe wird sich kein Gewerkschafter auf die Inflationsrate herunterhandeln lassen