„Chamenei hat den Befehl gegeben“

■ Die Islamische Republik ist in eine Legitimationkrise geraten, sagt Dschangis Pahlawan, Professor der Soziologie, Politik- und Kulturwissenschaft an der Universität von Teheran

taz: Die Universität von Teheran ist in Europa als Hochburg der Konservativen bekannt. Warum gingen die Proteste gerade von ihr aus?

Dschangis Pahlawan: Es ist nicht wahr, daß die Universität Teheran besonders konservativ ist. Sie hat immer auch fortschrittliche Bewegungen hervorgebracht, so zum Beispiel gegen den Schah. Ich weiß nicht, warum sie als konservativ bekannt geworden ist, vielleicht, weil man in der Zeit nach der Revolution vor 20 Jahren verhindert hat, daß von ihr eine neue Protestbewegung ausging.

Warum haben die Studenten ein so starkes Gewicht in Teheran? Haben die Basarhändler, die ja bisher als besonders mächtig in Iran galten, ihre Machtposition an die Studenten verloren?

Nein, es gibt zwei verschiedene Mächte im Lande. Einzelne Studentengruppen haben sich immer gegen die unterschiedlichsten Entscheidungen der Regierungen oder des Revolutionsrates ausgesprochen. Die Basarhändler – ein Teil von ihnen zumindest – stellen einen anderen Faktor im Machtgefüge des Iran dar.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die Studentenproteste?

Viele haben sich auf die Seite der Studenten gestellt. Der Schriftstellerverband, der immer noch um seine offizielle Zulassung ringt, überlegt noch, wie genau er diese Protestbewegung unterstützen kann. Die einfachen Leute auf der Straße helfen den Studenten dagegen ganz praktisch: Sie haben ihnen zum Beispiel Brot auf das Campusgelände gebracht. Inzwischen haben sich auch einige Universitätsprofessoren mit den Demonstranten solidarisiert und ebenfalls gegen die Übergriffe der Polizei Partei ergriffen. Diese Proteste werden sicher in der nächsten Zeit weitergehen. Es sei denn, Präsident Chatami und seine Regierung erklärten sich bereit, den Forderungen der Studenten nachzukommen.

Hierzulande gilt gerade Chatami als ein vergleichsweise liberaler, moderater Präsident.

Auch hier gilt er als liberal. Aber, was man befürchtet, ist, daß er mit seiner jetzigen, zurückhaltenden Art einen machtpolitischen Schwebezustand im Lande hervorrufen könnte. Das würde ihm schaden! Auch der Innenminister ist in dieser Position. Er aber sagt, daß er nicht den Befehl zum Sturm auf das Studentenwohnheim am vergangenen Donnerstag gegeben habe.

Also wer war es dann?

Nur noch eine Person im Lande kann einen solchen Befehl erlassen – und das ist der „Führer“: Chamenei.

Wie stark schätzen sie die Position des religiösen Führers in dieser Situation ein?

Zum ersten Mal wurden nunZweifel an seiner Position demonstriert. Und man glaubt, daß er in den letzten Tagen Schaden genommen hat. Gerade auch im Zusammenhang mit den Morden an Intellektuellen Ende vergangenen Jahres. Niemand will das noch länger tolerieren.

Könnten diese Proteste der Anfang vom Ende der Islamischen Republik sein?

Die Islamische Republik Iran gerät immer stärker in eine Legitimationskrise. In der jetzigen Art und Weise wird sie nur sehr schwer weiterbestehen können.

Interview: Björn Blaschke