: Teherans Dissidenten: „Helft uns, wir müssen hier raus!“
■ Verdeckter Krieg gegen die iranische Opposition. Viele Dissidenten sind spurlos verschwunden. Schriftsteller stellen sich hinter den Studentenprotest
Berlin (taz) – Offiziell herrscht in Teheran wieder Ruhe und Ordnung, doch hinter den Kulissen wird gnadenlos aufgeräumt. In den letzten zwei Tagen seien bis zu 1.000 echte und angebliche Regimekritiker verhaftet worden, berichteten gestern Teheraner Dissidenten telefonisch der taz. „Viele sind verhaftet worden, nur weil sie jung waren oder weil sie bereits auf Listen des Geheimdienstes standen“, so ein Oppositioneller. Die Verhaftungen erfolgten „sehr leise“, um das von den Behörden verordnete Bild nicht zu stören. Zumeist nachts kämen Polizei und Geheimdienstler, träten auch schon mal eine Tür ein und nähmen Mißliebige einfach mit. „Wir gehen nicht mehr aus dem Haus“, berichtet der Oppositionelle, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will. Andere versteckten sich in Teheran oder seien aufs Land geflohen.
Von zahlreichen Studentenführern fehlt jede Spur. Angehörige berichten am Telefon, sie wüßten nicht, wo sich ihre Kinder befinden. Am Dienstag abend hatte der Religiöse Führer des Landes, Ali Chamenei, die Miliz der „Bassidsch“ aufgefordert, Andersdenkende zu „zermalmen“. Nach Informationen der taz stürmten kurz danach Milizionäre eine geheime Studentenversammlung und feuerten mit scharfer Munition in die Menge. Ein Student soll dabei getötet worden sein; der Vorsitzende der Nationalen Studentenvereinigung, Manuscher Mohammadi, wurde schwer verletzt, sein Stellvertreter, Gholamresa Mohadschedri Nedschad, leicht. Beide verstecken sich. Einen Tag zuvor hatte Mohammadi am Telefon gesagt: „Die Situation ist sehr gefährlich. Kurz gesagt: Es herrscht Krieg.“
Unter dem Titel „Bassidsch“ firmierten einst Freiwillige im Krieg gegen den Irak. Seit vergangenem Jahr existieren Bassidsch auch als offizieller Hochschulverband. Sie sind den berüchtigten Revolutionswächtern unterstellt. Bei der gestürmten Versammlung hatten die Studenten darüber diskutieren wollen, welche Konsequenzen aus den Unruhen der letzten Tage zu ziehen seien. Die meisten plädierten für Zurückhaltung. Mohammadi und Nedschad waren bereits Anfang Juni nach Studentenprotesten vorübergehend verhaftet worden. Beide erhielten in der Zwischenzeit telefonische Morddrohungen. Gestern appellierten mehrere Studentenaktivisten telefonisch an Freunde im Ausland: „Helft uns, wir müssen hier raus!“
Nach Informationen der taz wurden in den letzten beiden Tagen auch Dissidenten verhaftet, die nicht zur Studentenszene gehören, unter ihnen Anhänger der illegalen Nationalpartei. Ausländische Journalisten im Iran bestätigten gestern, daß es Verhaftungen gab, konnten jedoch keine Angaben über Zahl und Identität der Opfer machen. Amnesty international veröffentlichte gestern einen Bericht, wonach zahlreiche Menschen „willkürlich“ festgenommen worden seien, darunter die Studentenführerin Mariam Schansi. Sie sei zuvor am Montag von Unbekannten in ihrer Wohnung überfallen und verprügelt worden. Auch die Festnahme von Mitgliedern der Nationalpartei wird von ai bestätigt. Laut ai sollen bei den vor einer Woche begonnenen Auseinandersetzungen zwischen Studenten und „Ordnungshütern“ mindestens fünf Demonstranten getötet worden sein.
Gestern meldete sich erstmals der inzwischen tolerierte, aber nicht legale Iranische Schriftstellerverband zu Wort. „Wir solidarisieren uns mit den Studenten“, heißt es in einer Erklärung der bisher selbst massiv bedrohten Organisation. Zugleich fordern die Literaten die uneingeschränkte Aufklärung der Mordserie an Dissidenten Ende vergangenen Jahres. Thomas Dreger
Interview und Dokumentation Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen