: Gott in Babylon
■ Eine Ehrung des populären russischen Animationsveteranen Fjodor Chitruk
Geliebt von den Kindern, von der Nomenklatura mit Auszeichnungen überhäuft, wegen seiner frechen Kommentare populär: Fjodor Chitruk wird vom russischen Volk verehrt wie seit Sergej Eisenstein kein zweiter Regisseur. Ganze Generationen sind mit „Winni-Pu“ und seinen anderen Zeichentrickfilmen aufgewachsen. Bei Festivals in Cannes, Leipzig, New York und Oberhausen räumte er die Preise ab – seinen Status als nationales Aushängeschild nutzte er, um weniger glückliche Künster im Sowjetstaat zu schützen. „Er war unser Spion im System“, meint die Dramatikerin Ljudmila Petruschewskaja.
Das „Filmkunsthaus Babylon“ stellt nun im Rahmen der Sommerakademie der Freien Kunstschule diesen Vertreter der „letzten lebenden, großen Männer der internationalen Animationsfilm-szene“ vor. Zu Fjodor Chitruks Kurzfilmen „Winni-Pu“ und „Die Ferien des Bonifatius“ wird „Der Hauch des kleinen Gottes“, ein einstündiger Dokumentarfilm von Otto Alder gezeigt. Alder porträtiert den 1917 in Twer geborenen, seit 1923 im Moskauer Arbat-Viertel wohnenden Regisseur, begleitet ihn ins Studio und zu Kollegen – und befragt ihn nach seinem Verständnis von Kunst und Kultur.
„Ein Animator ist ein kleiner Gott, der jeder seiner Figuren eine Seele einhaucht“, sagt Chitruk. Im Animationsfilm seien alle Kunstformen enthalten, etwa die Kunst der Konzentration oder wie bei der Karikatur die Kunst der Zuspitzung. Die Möglichkeit, mit Zeichentrickfilmen das sowjetische Leben zu karikieren, bekam Chitruk erst nach Stalins Tod. Der Diktator hatte nämlich die Filmexperimente der russischen Avantgarde beendet und höchstselbst angeordnet, Animationsfilme nur für Kinder herzustellen und sich dabei eng an die – harmlosen? – Disney-Filme anzulehnen.
Immerhin verdankt Chitruk Stalins Politik seine Deutschkenntnisse: Da sein Vater 1931 nach Deutschland geschickt wurde, um von der Sowjetmacht gekaufte Maschinen zu inspizieren, konnte Chitruk die Kunstgewerbeschule in Stuttgart absolvieren. Da sich die faschistisch-kommunistischen Beziehungen dann doch nicht so gut entwickelten, zogen es die jüdischen Chitruks vor, nach Moskau zurückzukehren. 1935 sah dort Chitruk den Disney-Film „Three Little Pigs“ – und wollte seither Animationsfilmer werden.
Zunächst wurde er allerdings in den Krieg geschickt, später als Dolmetscher der Roten Armee nach Berlin. 1961 war es dann so weit: Chitruk konnte selbst Regie führen. Gleich sein erster Film, „Geschichte eines Verbrechens“, schlug „wie eine Bombe ein“, erinnert sich Ljudmila Petruschewskaja: „Ein Film, der Zweifel am russischen Volk sät.“
In der etwas boshaften „Geschichte eines Verbrechens“ ist ein Sowjetbürger so gar nicht glücklich in seiner sozialistischen Mietskaserne. Er leidet unter dem Lärm der vielen Nachbarn. Nach einer schlaflosen Nacht erschlägt er mit einer Bratpfanne die Tratschweiber auf dem Hof. Richtig berühmt wurde Chitruk aber mit dem Kinderfilm „Winni-Pu“, dessen Philosophie nur „die ganz kleinen und die ganz alten Menschen“ richtig verstehen. Dafür bekam er „die höchste Auszeichnung“, erzählt Chitruk: Bei einem Besuch der Disney-Studios gaben die Amerikaner zu: „Dein Winnie Pooh ist besser als unserer.“
ME
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