piwik no script img

Klappentext

■ Lehrstunde in schwuler Geschichte: Eine schwule Stadtführung durch Schöneberg

Stadtführungen gibt es wie Sand am Meer. Neugierige begeben sich auf die Suche nach Spuren jüdischen Lebens im Scheunenviertel oder begucken sich die Künste alter Baumeister. Und natürlich gibt es da auch eine schwule Stadtführung. Alle 14 Tage dirigiert Horst Rohlfs vom Infoladen Mann-O-Meter ein Grüppchen Schwuler durch den Schöneberger Kiez. Ein kulturhistorischer Spaziergang, zurück in die alte schwule Zeit.

„Mit Lücken aber“, wie Horst Rohlfs einräumt, was nicht an seinem Wissen liege, sondern an den Bomben des Krieges und den Abrißbirnen. Geboten wird vielmehr eine Lehrstunde in Sachen schwule Geschichte von ihren Anfängen bis zur Machtergreifung der Nazis.

So hört man, daß die erste schwule Kneipe bereits um 1870 in der Krausenstraße zu finden war. Und erfährt, daß es früher im Keller der französischen Botschaft am Brandenburger Tor einen Treffpunkt Homosexueller gab. Wenn das keine Idee für den Neubau des Hauses ist. Schon 1907 zählte man zwanzig eindeutig lesbisch-schwule Etablissements in der Stadt. Es wurden immer mehr. Berlin galt in den Zwanzigern als das schwul-lesbische Eldorado Europas: Vergnügungen unter seinesgleichen waren angesagt. Horst Rohlfs erzählt vom damaligen Cruising im Tiergarten, von Schwimmbädern, Ballhäusern etc. Und macht auch auf Nichtschwules aufmerksam. „Hier in der Gegend wurde ,Praxis Bülowbogen‘ gedreht.“

In einem der damals größten Homolokale, dem „Eldorado“ an der Ecke Motz- und Kalckreuthstraße kann man heute nur noch einkaufen. Ein bißchen Stuck im Eingangsbereich erinnert an früher. „Plus“, erklärt Rohlfs lachend, „heißt hier Prima Lesben und Schwule“. Gleich um die Ecke in der Nollendorfstraße 17 wohnte vier Jahre lang Christopher Isherwood. Leider lassen die heutigen Mieter die Teilnehmer der Stadtführung nicht ins Haus.

Immerhin erinnert draußen eine Tafel an den einstigen schwulen Bewohner, der seinen Berlinaufenthalt in die Romane „Lebewohl Berlin“ und „Mister Norris steigt um“ einfließen ließ.

Unter dem U-Bahnhof Bülowstraße steht ein altes Toilettenhäuschen. Stillgelegt und neuerdings eingezäunt. Einst eine Klappe. „Vielleicht wird sie ja saniert“, zuckt Horst Rohlfs mit den Achseln. Also eigentlich alles wie heute.

Nicht ganz, denn: Die Nazis machten allem ein Ende. Haft- und Todesstrafen sowie gesellschaftliche Ächtung waren an der Tagesordnung. Tausende Schwule kamen in Konzentrationslagern zu Tode. Ironie der Geschichte: Einzig die Lieblingskneipe des schwulen SA-Führers Röhm, das „Kleist-Casino“ in der Kleiststraße, hat die Kriegswirren überlebt. Fast alle anderen Stätten damaligen schwulen Lebens sind von der Stadtkarte getilgt. Andreas Hergeth

Schwule Stadtführung: jeden 1. und 3. Sonntag im Monat, Treffpunkt: Martin-Luther-Kirche am Dennewitzplatz, Infos unter 3 25 46 34

Aus einem der größten Homolokale, dem „Eldorado“, wurde „Plus“: Prima Lesben und Schwule

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen