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Türkei: Fischer macht den Chefdiplomaten

Morgen reist Außenminister Fischer zu einem zweitägigen Besuch in die Türkei – die erste Visite eines deutschen Spitzenpolitikers seit zwei Jahren. Das Ziel: Wiederherstellung normaler Arbeitskontakte  ■   Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Der Gegner meines Feindes ist mein Freund. Schon allein aus diesem Grund wird die anstehende Türkeireise von Bundesaußenminister Joschka Fischer ein Erfolg werden. Denn schlechter als am Ende der Ära Kohl können die deutsch-türkischen Beziehungen nicht mehr werden.

Die türkische Öffentlichkeit dürfte spätestens seit gestern große Hoffnungen in den Außenminister der rot-grünen Koalition setzen. Die Vizedirektorin des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Cigdem Akkaya, sieht bereits eine „neue Blütezeit“ in den deutsch-türkischen Beziehungen. Anlaß dieser euphorischen Einschätzung ist die gestrige Aussage von Günter Verheugen, Staatsminister im Auswärtigen Amt: „Die Türkei ist für uns ein Beitrittskandidat für die Europäische Union. Deutschland wird sich dafür einsetzen, daß das Verhältnis auf eine solide Grundlage gestellt wird.“

Das ist Balsam für die türkische Seele, die sich von Europa ausgesperrt fühlt, seitdem der Luxemburger EU-Gipfel im Dezember 1997 beschloß, daß die Türkei nicht zu den zwölf Beitrittskandidaten der EU-Osterweiterung gehört. Verheugens versöhnliche Worte garantieren Fischer einen gnädigen Empfang in Ankara. Auch wenn Verheugen hinzufügte: „Dies darf aber keine Einbahnstraße sein. Auch Ankara muß seinen Beitrag leisten.“

Es gehe bei dieser Reise vor allem darum, wieder normale Arbeitskontakte herzustellen, betont der innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, der Fischer am Mittwoch und Donnerstag begleitet. Normale Arbeitskontakte? In Wahrheit muß ein veritabler Scherbenhaufen wegräumt werden. Beide Länder haben sich in den zurückliegenden Jahren wenig geschenkt.

Zur Erinnerung: Der letzte Besuch eines deutschen Außenministers in der Türkei, von Klaus Kinkel im März 1997, schrammte hart am Rande eines Debakels vorbei. Seitdem verspürte kein deutscher Spitzenpolitiker mehr größere Lust, in die Türkei zu reisen. Kurz vor seinem Besuch forderte der damalige türkische Ministerpräsident, Necmettin Erbakan, von Kinkel: „Sie müssen ihr Haupt senken.“ Erbakan erschien das als angemessene Haltung, angesichts der nicht eingehaltenen Versprechen der Europäischen Union gegenüber der Türkei.

Zwar erklärte Kinkel während seines Besuchs: „Die Türkei gehört zu Europa.“ Aber so genau hörte zu diesem Zeitpunkt in der Türkei kaum noch jemand hin. Hartnäckiger im Bewußtsein hielt sich eine Äußerung, die Kohl auf einem Gipfeltreffen der christdemokratischen Regierungschefs im März 1997 geäußert haben soll: „Mir ist nicht bekannt, daß Anatolien ein Teil Europas ist.“

Als der EU-Gipfel in Luxemburg die Türkei nicht in den Kreis der Beitrittskandidaten aufgenommen hatte, eskalierte der Streit. Die Türkei fühlte sich gedemütigt und beschuldigte Deutschland, es wolle Europa zwischen Bulgarien und der Türkei trennen. Der damaligen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz schlußfolgerte: „Die Deutschen verfolgen die gleiche Strategie wie früher. Sie glauben an den Lebensraum.“ Kinkel attestierte Yilmaz einen „Amoklauf“. Yilmaz bezeichnete die Deutschen daraufhin als „Architekten der Diskriminierung der Türkei“ und bescheingte Kinkel eine „Doppelzüngigkeit.

Aufgrund dieser Vorgeschichte warnt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes vor allzu hochgesteckte Erwartungen: „Wir dürfen diesen Besuch nicht nur aus dem deutschen Blickwinkel, also den Umgang mit Öcalan und den Menschenrechten, sehen.“ Damit dies nicht geschieht, bleibt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung wie bereits bei der Chinareise des Kanzlers zu Hause.

Trotzdem wird Joschka Fischer Akzente setzen. Vor Beginn der offiziellen Gespräche in Ankara am Donnerstag wird er den türkischen Menschenrechtsverein (IHD) besuchen. Fischer muß der Drahtseilakt gelingen, die Wiederannäherung an einen schwierigen Partner zu schaffen, ohne dessen Umgang mit den Menschenrechten auszuklammern.

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