: Talmi und Theaterdonner
■ Die Retrospektive des 1994 verstorbenen Malers Michael Buthe im Düsseldorfer Kunstmuseum zeigt prächtige Überbleibsel eines ganz persönlichen Königreichs
Wenn man ganz nah herangeht mit der Nase, ist der leichte Geruch von Bienenwachs noch wahrzunehmen, den das „Honigtuch“ verströmt. Es hängt in einem Raum voll zurückgelassener Gegenstände: prächtig bestickte Dekken, ein Zepter, schützende Fetische, ein kleiner blaugoldener Thron. Nur einer fehlt – der König, dem all dies gehört. Vielleicht ruht er sich irgendwo aus zwischen zwei Festgelagen. Vielleicht ist er verschwunden in sein Fabelreich, der „Dieu de Babylon“ alias Michael Buthe. Nur soviel ist klar: Er kommt nicht wieder.
Michael Buthe starb 1994 mit 50 Jahren. Jetzt ermöglichen zwei Retrospektiven einen umfassenden Blick auf sein Werk: Die Bielefelder Kunsthalle zeigt Papierarbeiten und bislang unbekannte Tagebuch-Objekte, während das Kunstmuseum Düsseldorf sich auf Bilder und Installationen Buthes konzentriert. Zu Beginn seiner Arbeit sind die Einflüsse deutlich zu erkennen – die 1969 entstandenen Objekte aus zerrissenem Tuch tragen Spuren der Arte povera oder Lucio Fontanas. Die frühen, minimalistischen Zeichnungen und Collagen mit Wachs zeigen dagegen den Einfluß von Joseph Beuys – sie sind Produkte ihrer Zeit, aber nicht originär.
Die künstlerische und persönliche Wende in Buthes Leben bringt eine erste Reise nach Marokko 1970: Plötzlich ist alles Farbe, Bewegung, Energie. Eine pink und rot schillernde „Paillettensonne“ (1970/71) leuchtet auf verschossenem Samt. 1962 war sie schon mal da, die Sonne, als kleines Aquarell, aber da erinnerte sie eher an ein lädiertes Spinnennetz. Nun wird sie zum zentralen Motiv in Buthes Werk – ob als „Federsonne“ (1981), die Teil eines indianischen Ritus sein könnte, oder als lodernde „Rosensonne“.
Vor allem sind es jedoch die Ornamente und Farben Nordafrikas, die, beschleunigt und herumgewirbelt, die Formen explodieren lassen. Da fliegen Fische, gehen Sterne auf, stehen blaue Kamele in goldgetupften Wüsten. Kinderspaß, der auch auf Sprache übergreift: „Ersöl dö Tuarec“, hört man sich unversehens selbst den Titel einer Collage murmeln. Eine besondere Anziehung geht dabei von den kraftvoll komponierten Arbeiten der Reihe „Engel und Dämonen“ von 1972 aus. Umkränzt von goldenen Zacken, strebt ein Sonnengott gen Himmel, fliegen vier Jahre später spielerisch „Due Raggazzi“ durch die goldgefärbte Luft. Als hätte die Existenz Flügel bekommen, jenseits der Grenzen einer rationalisierten, nach dem Ende der Utopien von 68 kälter werdenden westlichen Welt.
Buthe bereist nicht nur Nordafrika, auch die Türkei und Persien inspirieren sein ganz persönliches, synkretistisches Universum. Harald Szeemann faßte diese Art künstlerischer Lebensentwürfe 1972 mit dem Begriff der „individuellen Mythologie“ auf der documenta V zusammen. Bei anderen stieß so viel spielerische und hemmungslos zelebrierte Privatreligion nicht auf allzuviel Gegenliebe. So schrieb Thilo Koch von der Hessischen Allgemeinen vom „Gauklertanz neurotischer Gespenster“ und lehnte sie rundweg ab, die „Schwarze Messe von Kassel“. Doch gerade Künstlichkeit und Eklektizismus, oft als Kitsch bezeichnet, haben Methode im hedonistischen Lebens- und Werkkontext Buthes. Von Anfang an gab er den Herrscher, in immer neuen Verkleidungen und immer neuer Kulisse zwischen Marrakesch und Köln. So lebte er von Januar bis Mai 1972 in der Villa der Amerikanerin Gloria Kirby im marokkanischen Städtchen Essaouira, wo er sich als Prinz im Märchenland inszenierte. Er wollte nicht Gleicher unter Gleichen sein.
Seit den achtziger Jahren scheinen Buthes Objekte von einem Mißtrauen in die Kraft der eigenen Zaubermächte zu künden. Jetzt müssen ganze Türen her, bemalt wie die Lehmhäuser im Atlasgebirge, werden ganze Fenster installiert. Die Farbe und die Fülle der Materialien, die er zu Beginn so gezielt einzusetzen verstand, scheinen ihm über den Kopf zu wachsen wie in „Ismaäl Pacha“ von 1983.
Die Düsseldorfer Schau offenbart das Problem jeder Buthe-Retrospektive: Die Envorinments von damals lassen sich nicht wiederherstellen, die Happenings sind vorbei, unwiederbringlich. So macht es Sinn, sich vor den in einer Ecke im Obergeschoß postierten, winzigen Fernsehapparat zu setzen – wenn es sein muß, stundenlang – und alte Videotapes anzuschauen. Da erstehen sie alle wieder auf, die Geister des „Michel de la Sainte Beauté“, allen voran Udo Kier, schön und glattgesichtig, larger than life. Hier hört man Trommeln, fremde Flötenklänge und das Rascheln der Seiten, die Kier langsam in Buthes Tagebüchern umblättert.
1977 hat Buthe sich einen imposanten Thron gebaut: „Le Roi est mort“. Der König ist tot, es lebe der König! Magdalena Kröner
„Michel de la Sainte Beauté“. Noch bis zum 1. August im Kunstmuseum Düsseldorf. Michael Buthe: „Zeichnungen und Tagebücher“. Noch bis zum 25. Juli in der Kunsthalle Bielefeld.
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