■ Chinas Behörden gehen massiv gegen Anhänger der Kultbewegung Falun Gong vor. Die Sekte droht die Macht der kommunistischen Parteiführung nicht nur im Staate, sondern auch über einzelne Kader zu untergraben: Eine bedrohliche Energie
Chinas Behörden haben die sektenartige Bewegung Falun Gong im Visier. Landesweit werden Anhänger festgenommen, die ersten Führer der im Stile einer chinesischen Geheimgesellschaft organisierten, quasi-religiösen Bewegung wurden bereits am Montag abend verhaftet. Dabei sollen auch Bücher, Poster und Büsten des in den USA lebenden Sektengründers Li Hongzhi beschlagnahmt und zerstört worden sein.
Am Dienstag wurden nach Auskunft des Hongkonger Informationszenstrums für Demokratie und Menschenrechte in China hundert führende Mitglieder der Organisation verhaftet. Daraufhin zogen gestern Tausende ihrer Anhänger in zahlreichen Städten Chinas vor Regierungsgebäude, um meist stillschweigend und ohne Transparente gegen das Vorgehen der Behörden zu protestieren.
Die meisten Proteste wurden verhindert. Ein großes Polizeiaufgebot sicherte das Regierungsviertel Zhongnanhai im Zentrum Pekings. Eine Zufahrtstraße im Westen des Viertels – wo erstmals am 25. April 10.000 Falun-Gong-Anhänger protestiert und damit die größte Demonstration seit der Niederschlagung der Studentenbewegung von 1989 organisiert hatten, war gesperrt. Hunderte Demonstranten wurden verhaftet und in zwei Stadien in den Bezirken Shinjiangshan und Fengtai verfrachtet, wie Stadionmitarbeiter berichteten. Demnach befinden sich in beiden Stadien jeweils mehr als eintausend Falun-Gong-Anhänger. „Es ist alles voll“, sagte ein Stadionmitarbeiter in Shijingshan. Mehrheitlich handele es sich um Frauen mittleren Alters, darunter seien aber auch Kinder. Aktionen gegen Falun Gong und Proteste ihrer Anhänger wurden aus mindestens 14 Städten gemeldet.
Ein massives Vorgehen der Behörden gegen Falun Gong deutete sich bereits in den letzten Wochen an. Mehrfach hatten Artikel in den offiziellen Medien vor einer „Förderung des Aberglaubens“ oder der „Gefährdung der sozialen Ordnung“ gewarnt. Am Montag hatte das Parteiorgan Volkszeitung in einem Kommentar die Nachlässigkeit von Führungskadern für die schnelle Verbreitung von Aberglauben verantwortlich gemacht. Das Fernsehen berichtete von Menschen auf dem Lande, die erzählten, den „äußerst verderblichen Aberglauben“ mit Erfolg überwunden zu haben.
Chinas KP-Fühung war spätestens seit der Großdemonstration der Sekte direkt am Regierungssitz im April alarmiert. Damals richtete sich der Protest gegen negative Berichte in den offiziellen Medien und gegen die Verhaftung einiger Falun-Gong-Führer in der Hafenstadt Tianjing. Die Kultbewegung erzwang ein Treffen von Premierminister Zhu Rongji mit einer Abordnung der Demonstranten, die sich geweigert hatten, ohne ein Gespräch abzuziehen. Der Protest im April verlief ausgesprochen friedlich. In engen Reihen standen die Falun-Gong-Anhänger auf dem Bürgersteig um das Regierungsviertel. Sie trugen keine Transparente und skandierten keine Parolen. Niemand war bereit, mit Journalisten zu sprechen. Nach Auskunft eines Falun-Gong-Sprechers in New York soll unter den am Dienstag Verhafteten auch ein Vertreter gewesen sein, der im April am Gespräch mit Zhu Rhongji teilnahm.
In den letzten Wochen organisierte Falun Gong weitere Proteste, darunter eine Postkartenaktion und eine Demonstration in der Stadt Weifang mit 5.000 Teilnehmern. Die offiziell erst vor fünfeinhalb Jahren begründete Bewegung Falun Gong ist nicht nur die derzeit am besten organisierte Gruppe der Volksrepublik China außerhalb der Kommunistischen Partei. Die taoistisch-buddhistische Sekte ist der KP, die 60 Millionen Mitglieder hat, auch zahlenmäßig ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen. Nach Schätzungen der KP zählt Falun Gong bis zu 70 Millionen Mitglieder, nach eigenen Angaben bis zu 100 Millionen. Die straff organisierte Kultbewegung muß auch deshalb von der Parteiführung als Bedrohung empfunden werden, weil zahlreiche Parteikader praktizierende Falun-Gong-Anhänger sind: Nach Schätzungen sind 15 Prozent der Falun-Gong-Anhänger KP-Mitglieder.
Das Vorgehen der Führung gegen Falun Gong könnte auch im Zusammenhang mit einer im März begonnenen Kampagne stehen, mit der KP-Chef Jiang Zemin die Partei hinter sich vereinen will. Die Kampagne zielt unter anderem auf die „richtige politische Orientierung“ der Kader. Sollten diese weiter ungestört Falun Gong praktizieren können, käme diese nicht nur dem Scheitern der Kampagne Jiangs gleich, sondern wäre auch eine Niederlage Jiangs in der wichtigen Frage der Kontrolle über die Partei. Sven Hansen
Die taoistisch-buddhistische Sekte Falun Gong ist der KP zahlenmäßig ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen
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