: Klang der Zukunft
In seinem Buch „Heller als die Sonne“ philosophiert Kodwo Eshun mit dem Plattenspieler – und gegen die konventionelle Pop-Musikgeschichtsschreibung ■ Von Tobias Rapp
Wenn jemand in den letzten Monaten für Aufregung in der popkulturellen Gemeinde gesorgt hat, so war es Kodwo Eshun. Ohne sein Buch „More brilliant than the sun“ hätte so manches am Rande der Akademien veranstaltetes Popkultur-Symposium nicht stattfinden können, und ohne die Anwesenheit des Autors höchstselbst wäre es wahrscheinlich langweilig gewesen. Kodwo Eshun, Musikjournalist für die britischen Magazine The Wire und iD, hüpfte als Theoriestar von Köln nach Wien, von Berlin nach Lissabon und zog dabei die Ideen seines Buchs wie einen Schweif hinter sich her. Nun liegt es auch auf deutsch vor, und dank der kongenialen Übersetzung von Dietmar Dath strahlen die „Abenteuer in Sonic Fiction“ nun auch auf deutsch „heller als die Sonne“.
So aphoristisch und von Punkt zu Punkt springend das Buch gehalten ist, so sehr ist es verschachtelt, und so sehr sind die Themenstränge ineinander verbandelt. Es geht um Zukunftsentwürfe in der populären Musik der letzten fünfzig Jahre, also um das, was Kodwo Eshun Sonic Fiction nennt. Der Sinnspruch, der über diesem Konzept steht, heißt: „Die Zukunft ist ein weit besserer Hinweisgeber für die Gegenwart als die Vergangenheit.“ Das heißt für Eshuns Konzept von HipHop und Breakbeat etwa folgendes: Die traditionelle Musikgeschichtsschreibung leitet die Geburt von HipHop eher aus dem Geiste der Geschichte her. Als die ersten DJs die Breaks aus James-Brown-Platten hintereinander spielten und so den Breakbeat erfanden, sei das eine Fortschreibung afroamerikanischer Traditionen gewesen. Eshun nun bricht mit dieser Idee und behauptet das Gegenteil. Die Breakbeats würden einen in den alten Stücken virtuell schon vorhandenen Beat isolieren und so Zukünftiges zum Klingen bringen. Die Breakbeat-Wissenschaft funktioniere wie Motion Capturing, die Tricktechnik des Kinos, wo Computer menschliche Bewegungsabläufe speichern, um aus den gewonnenen Daten dann Bewegungen herauszurechnen, die der berechnete Körper niemals vollbringen könnte.
Wo immer Geschichte oder Soziales ihre Nase zeigen, weist Eshun in eine andere Richung. Das ist voll und ganz beabsichtigt und Teil von Eshuns strategischem Anti-Essentialismus, Festlegungen auf Identität will er vermeiden. Eshun interessiert sich vor allem für die Brüche, für die Cuts und Breaks der Musik, und so setzt er dem Soul und seiner Geschichte sein Konzept von Postsoul entgegen. Polemisch zugespitzt sagt Eshun, Soul habe vor allem und in erster Linie das Einklagen von Menschenrechten bedeutet – Rechte, die Afroamerikanern aber nie wirklich zugestanden worden seien. Deshalb habe es eben für manche auch durchaus Sinn gemacht, auf posthumane Entwürfe auszuweichen, sich also zum Astroamerikaner zu stilisieren, dem gar keine eindeutige Hautfarbe mehr eigen ist.
Genau dies sei im Postsoul geschehen, von Sun Ra über den Spätsechziger-Elektro-Experimental-Jazz von Alice Coltrane, Miles Davis und Herbie Hancock, von der Erfindung des Breakbeats und des Scratchens bis zu Detroiter Technokonzepten wie Underground Resistance oder dem britischen Drum'n'Bass der letzten Jahre, so Eshun. Überall gebe es Fluchtbewegungen, Überschreitungen und das Öffnen neuer Räume, die sich eindeutiger Zuschreibungen entzögen. Im Postsoul löse sich afroamerikanische Musik von einer bestimmten Hautfarbe. Für jede Platte, deren Cover-Art Kodwo Eshun einer eingehenden Betrachtung unterzieht oder deren Titel auf konzeptuellen Gehalt abklopft, zeichnet er nach, warum, wieso und wie hier die Zukunft klingt. Keine Frage, Kodwo Eshun hat ein großes Ohr.
„Heller als die Sonne“ ist allerdings kein Buch, das zum Dialog einlädt, der Tenor ist eher: Love it or leave it. Das ist zum Teil dem polemischen Grundton geschuldet, zum anderen stößt es aber auch in solche Regionen des Schreibens über Musik vor, die es vorher so noch gar nicht gab. Da ist endlich jemand, der Ernst macht mit dem musikalischen Material. Jemand, der den Sound als das nimmt, was er ist, und nicht als Beispiel für etwas, was jenseits der Musik liegt. Wenn sonst versucht wird, im Schreiben über Instrumentalmusik eben jener Musik einen Text – und damit Sinn – zu verpassen, versucht Kodwo Eshun, sein Buch als zweiten Plattenspieler einzusetzen, dessen Geschwindigkeit man nur synchron schalten müsse, um zwischen den Zeilen und der Musik hin und her blenden zu können. Wenn Kodwo Eshun so mit dem Plattenspieler philosophiert, ist das in der Haltung und in der Sprache oft nicht weit von Nietzsche und seinem Hammer entfernt.
Das taugt natürlich prima als Instrument gegen einen eher traditionellen Popdiskurs, dem zu Techno nie besonders viel mehr einfiel, als daß aus der Motorstadt Detroit doch auch einmal Motown kam, jetzt aber die Autofabriken robotorisiert arbeiten und deshalb wohl dort nun, analog dazu, mit Computern Musik gemacht wird. Das ist natürlich richtig, und wahrscheinlich würde nicht einmal Kodwo Eshun hier widersprechen. Doch weder ist diese Deutung besonders aufregend, noch wird sie der Tiefe vieler Produktionen elektronischer Musik gerecht. Denn die Theorien sind längst da, man muß sie nur aus der Musik in Sprache übersetzen.
Ironischerweise trägt „Heller als die Sonne“, obwohl Kodwo Eshun immer wieder antihistorisch argumentiert, in sich selbst doch wieder die Spuren der Geschichte. An vielen Stellen atmet der Text jene Nur-der-Himmel-ist-die-Grenze-Rhetorik, die noch vor drei Jahren unter Drum'n'Bass-Produzenten vorherrschte, als man sich über die neuen Möglichkeiten, an Computern neue Beats zu schneiden, kaum einkriegen konnte vor Zukunftsbegeisterung. So euphorisch ist heute kaum noch jemand. Doch ein Zurück hinter „Heller als die Sonne“ gibt es nicht. Denn kaum ein Buch hat bisher die Abenteuer beim Entdecken neuer Klänge besser eingefangen als dieses.
Kodwo Eshun: „Heller als die Sonne. Abenteuer in Sonic Fiction“. ID-Verlag, 240 S., 36 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen