Von der Demo direkt ins Gefängnis

■ Für Weißrußlands Opposition ist die Amtszeit von Präsident Lukaschenko zu Ende. Der sieht das anders und reagiert heftig

Berlin (taz) – Ein Dutzend Weißrussen erlebte am Mittwoch wieder einmal, was Meinungs- und Versammlungsfreiheit in ihrem Land bedeuten: Bei einer Demonstration in der Hauptstadt Minsk für den Rücktritt von Staatspräsident Alexander Lukaschenko wurden sie von der Polizei kurzerhand verhaftet. Anlaß des seit Monaten ersten größeren Protests mit mehreren tausend Teilnehmern war das Ende des regulären Mandats Lukaschenkos. Der Ex-Kolchosenchef war am 20. Juli 1994 für fünf Jahre vereidigt worden. Aber im November 1996 hatte er in einem zweifelhaften Referendum die Verfassung aushebeln und sich seine Amtszeit bis 2001 verlängern lassen.

In einer Ansprache an die Menge bekräftigte der Präsident des letzten legitimen und seit 1996 aufgelösten Parlaments, Semjon Scharetzki, den Widerstand der Opposition gegen das Ergebnis des Referendums. „Von heute an ist Herr Lukaschenko gemäß dem Buchstaben des Gesetzes und der Verfassung, auf die er vereidigt wurde, ein gewöhnlicher Bürger“, rief Scharetzki und kündigte für die kommenden Wochen weitere Demonstrationen an.

Ob Scharetzki dann allerdings wieder auftreteten wird, ist fraglich. Wie alle Oppositionellen und Kritiker Lukaschenkos steht auch er ständig mit einem Bein im Gefängnis. Vor zwei Tagen suchte er in der Vertretung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Hotel Minsk Zuflucht. Zur Begründung sagte Scharetzki, er rechne in der nächsten Zeit mit seiner Verhaftung durch den weißrussischen Sicherheitsdienst.

Die OSZE, die bereits mehrmals erfolglos versucht hat, zwischen Regierung und Oppositon zu vermitteln, bemühte sich um einen versöhnlichen Ton. Der Leiter der Mission in Weißrußland, Hans Georg Wieck, sagte, Lukaschenko haben freien Wahlen im Januar des nächsten Jahres zugestimmt und ausdrücklich bestätigt, daß die OSZE bei diesen Wahlen die Moderatorenrolle übernehmen solle. Die Tragfähigkeit dieser Aussage müsse noch überprüft werden, da es sich bisher lediglich um eine Absichtserklärung handele. Außerdem habe sich Lukaschenko zu Gesprächen mit der Opposition über dieses Thema bereit erklärt.

Wie die aussehen sollen, erläuterte Lukaschenko in Witebsk, wo er am Mittwoch einer Kunsthandwerkausstellung seine Aufwartung machte. Mit der OSZE sei ein Kompromiß erzielt worden, und er sei bereit, mit einer konstruktiven Opposition zu verhandeln. „Aber warum sollte ich an einem Runden Tisch mit Politikern zusammensitzen, die korrupt sind und nur meine Zeit vergeuden?“ Er sei der legitime Staatschef Weißrußlands und werde noch lange Zeit an der Macht bleiben, denn: „Ich habe bis jetzt noch nicht alle Aufgaben erledigt“, sagte Lukaschenko.

Zumindest in Moskau genießt der Diktator unbedingten Rückhalt. „Die Ergebnisse des Referendum sprechen für sich. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung haben mit Ja gestimmt“, sagte der Sprecher des russischen Außenministeriums, Wladimir Rachmanin. Die Legitimität Lukaschenkos stünde außer Frage. Barbara Oertel