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Vom Hintergrund zum Handlungsraum

■ Die Ausstellung „Böhmen liegt am Meer“ in der Kunsthalle zeichnet nach, wie das Thema Landschaft im 17 Jahrhundert langsam in den Vordergrund rückte

Für die Römer war Germanien eine barbarische Waldwüste. Und für mehr als 1500 Jahre wurde der Kampf gegen die wilde Natur, ihre Eroberung und Umformung zur nutzbaren Landschaft, Aufgabe zur Kultivierung Nordeuropas. Im Zeitalter der europäischen Expansion nach Afrika und Amerika wurde dies Bild auf die Kolonien übertragen. Für die Reste der Natur in der Heimat entwickelte sich ein romantisches Interesse.

Die Abbildung solcher Entwicklung um 1600 zeigt jetzt eine Ausstellung in der Kunsthalle. Auf ein Thema und eine Region reduziert werden in einem Saal und drei Kabinetten die Veränderungen des Landschaftsbildes in der niederländischen Malerei vorgeführt. So eine kleine Ausstellung funktioniert wie ein Schlüssel zum Verständnis ganzer Bilderberge. Läßt man sich auf das vergleichende Studium von Zeichnungen, Drucken und Bildern in einem begrenzten Bereich ein, kann solch eine kunstgeschichtliche Tiefenbohrung interessanter sein, als jede groß daherklotzende Überblickschau.

Es ist faszinierend, auf engem Raum vorgeführt zu bekommen, wie sich in relativ kurzer Zeit menschliche Weltbilder verändert haben: Landschaft wird vom Hintergrund von Heiligenbildern zum Handlungsraum mit religiöser Staffage und schließlich zum autonomen Bildsubjekt, in dem ganz realistisch nur noch die Kirchtürme auf die gedachte Anwesenheit des Göttlichen verweisen.

Die Kunst spiegelt dabei die parallelen intellektuellen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Wie Atlanten und Traktate in den Vitrinen zeigen, beschreibt die Geographie die Welt als Ganzes, entweder religiös als göttlichen Wirkungsraum oder zunehmend rational in ihrer realen Erscheinung. Die Topographie dagegen nähert sich dem speziellen Ort und versucht ihn in seiner spezifischen Gestalt zu erfassen. Dazwischen gibt es aber noch, weniger bekannt, die Chorographie. Diese Bezeichnung ist vom gleichen griechischen Wort Choros für Raum abgeleitet wie die sprachlich sehr ähnliche Choreographie, definiert aber die Geographie als Versuch einer Regional- oder Länderkunde.

Für die Kunst gelten die drei Betrachtungsbereiche gleichermaßen. Sind zuerst Felsen und Flüsse, Bäume und Burgen nur zeichenhafte Versatzstücke für die Welt als solche, werden zunehmend zusammenhängende Landschaftsräume wie ein spezielles Flußtal erfaßt. Dabei wird, wie bei den beiden Zeichnern, die im Vordergrund der Flußlandschaft nach Pieter Breughel sitzen, die Realität des Abgebildeten durch die bei der Arbeit dargestellten Künstler gleichsam legitimiert. Dennoch wurden Landschaften vor dem 19. Jahrhundert niemals in der Natur gemalt, sondern stets im Atelier aus den zeichnerischen Vorlagen zusammenkomponiert. Und so tauchen dann im Hochgebirge von Roelant Savery individuell gezeichnete Felsen oder Baumgruppen auch in einer Küstenlandschaft auf: Böhmen liegt am Meer, wie die Ausstellung gut nachvollziehbar im literarischen Zitat titelt.

Doch Roelant Saverys Naturstudien zeigen in unzugänglichen Schluchten und wild umgestürzten Bäumen, daß die Natur sich nicht leicht und unbegrenzt beherrschen läßt: Der romantische Blick deutet sich an. Doch auch die nahezu impressionistische Leichtigkeit des autonomen Künstlers im Umgang mit dem Landschaftssujet ist mit heutigem Verständnis in einem der Bilder schon zu entdecken: Die von schräger Sonne beschienenen Wege durch reife Kornfelder in Joos de Mompers Hügellandschaft sind von einer Farb-reduktion und Lockerheit des Pinselstrichs, die weniger an gottgefällige Weltordnung als an den Malergott Van Gogh denken läßt.

Hajo Schiff

„Im Blickfeld: Böhmen liegt am Meer – Die Erfindung der Landschaft um 1600“, Hamburger Kunsthalle, Olympia-Saal, bis 10. Oktober. Katalog von Thomas Ketelsen in der Reihe der „Kleinen Schriften“, 64 Seiten, 16 Mark

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