: Obdachlosenprojekt gescheitert
■ Das Obdachlosen-Selbsthilfeprojekt „Arbeit und Wohnen“ wurde letzten Monat aufgelöst / Die „Straßen-Zeitung“ aber wird weiter verkauft
Thorbenist ganz schön fertig, wie er da in die Wohnung von Christian einläuft. „Ich soll fünfzig Tage in den Knast.“ Christian ist ungerührt: „Das würde Dir auch nichts schaden: 50 Tage, und Du bist clean“. Dann hängt er sich aber doch ans Telefon und redet mit dem Sozialamt und der Staatsanwaltschaft. Und haut Thorben nach wenigen Minuten tatsächlich vorerst raus.
„Christian Semmert, Selbsthilfeförderverein Arbeit und Wohnen“, meldet sich der Schwergewichtige. Den Zusatz „Bremen“ sagt Semmert nicht mehr dazu: Der hanseatische Ableger der Obdachlosen-Initiative aus Erbach hat aufgehört zu existieren. Aus. Vorbei. An die Wand gefahren, das Projekt.
Letzten Sommer begannen einige Obdachlose, die Zeitung „Straßenfeger“ (heute: „Die Straßen-Zeitung“) auch in Bremen zu verkaufen. Mit Hilfe des Erbacher Vereins wurde der Vertrieb aufgebaut. Im November wurde ein alter Laden im Gröpelinger Pastorenweg 141 angemietet. Viele Hoffnungen knüpften die Obdachlosen an die gammeligen Räume. Tagsüber sollten sie als Redaktion, Wärmestube und Zeitungslager genutzt werden, nachts als Notunterkunft für zwölf Personen. Im Frühjahr hatten die Bremer sogar formell ihren eigenen Verein gegründet.
Aber das „Aus“ kam schnell. Seit Mai sind die Räume futsch. Ebenso wie das Geld aus dem Verkauf der Zeitung, mit dem die Unterkunft bezahlt werden sollte. Letzten Monat wurde der Bremer Verein endgültig auf Eis gelegt, weil er nicht mehr liquide war.
Was ist passiert in dem Selbsthilfeprojekt? Irgend jemand aus der Gruppe der Zeitungsverkäufer muß etwas gegen Ralf Schneider gehabt haben. Ralf organisierte mit seiner Freundin Dorisden Verein am Anfang. Ralf hieß eigentlich ganz anders und wurde polizeilich gesucht, weil er ein paar krumme Dinger gedreht hatte – von Überfällen und Diebstahl ist die Rede – und aus einem Knast im Ruhrpott ausgebrochen war. Im März stürmte auf einmal ein Sondereinsatzkommando der Polizei die Räume im Pastorenweg. Irgendjemand hat doch geplaudert. Jetzt sitzt Ralf wieder im Knast. In Remscheid.
Doris fuhr ihn oft besuchen und managte den Verein weiter. Auch Christian war mal da: „Ein Hochsicherheitsgefängnis ist das“, sagt er. Irgendwann im April, bei einem dieser Besuche, wurde Doris nach der zweiten Absperrung innerhalb des Gefängnisses von dem Wachpersonal angehalten: „Warten Sie mal, wir haben da was gegen Sie.“ Jetzt sitzt auch Doris – im offenen Vollzug in der Nähe von Bremen.
Christian übernahm im Mai die Bücher, den Vorsitz des Vereins und den Vertrieb der Zeitung. Und stellte fest: Außenstände von rund 16.000 Mark. Für Telefon. Miete. Und so weiter. Wer genau dafür verantwortlich war? Jedenfalls war niemand haftbar zu machen. Christian und die anderen Vereinsmitglieder beschlossen auf einer Krisensitzung das Unvermeidliche: Aus dem Pastorenweg ausziehen. Verkaufen, was zu verkaufen möglich ist. Verein und Schulden loswerden. Nur der Zeitungsverkauf wurde gerettet. Weil er für eine Handvoll Obdachlose zu so etwas wie einem festen Job geworden ist.
„Der Verein hatte sich zu viel vorgenommen“, sagt Christian. Jetzt werden wieder kleinere Brötchen gebacken. Aufpassen, daß die Verkäufer nicht besoffen die Zeitungen verkaufen. Sich um die Abrechnungen kümmern. Ansässige Geschäftsleute überzeugen, daß der Stellplatz wichtig für den Verkäufer ist. „Wir machen weiter“, sagt Christian, „was bleibt uns anderes übrig, wenn wir das Projekt nicht sterben lassen wollen?“
Christoph Dowe
amen geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen