: Normalzeit
Dienstleistungsstars ■ Von Helmut Höge
In den Prenzlauer-Berg-Kneipen sind die Kellnerinnenjobs inzwischen so begehrt, daß fast nur noch junge Frauen genommen werden, die, wie Judith Hermann oder Maria Voigt, versprechen, anschließend darüber ein tolles Buch zu schreiben.
Das ist kein Witz. Die Kulturwissenschaftlerin Beatrix bekam zum Beispiel den Hermann-Job im „Houdini“ nur, weil sie beweisen konnte, daß sie bereits im „Sklaven“ sowie in Tageszeitungen veröffentlichte, außerdem ist sie dunkelhaarig und paßte farblich gut zu den drei anderen – blonden – Kolleginnen.
Die Königin aller Kellnerinnen ist Djamila im „Torpedokäfer“. Sie bekommt so viele Liebesbriefe von männlichen Gästen, daß sie unlängst bereits die besten im Lokal ausstellte: eine ganze Wand voll. Die Kellnerin im „Siemeck“ debütierte gerade als Sängerin bei den Ex-Ramsteins – mit „Liebe“. Die Kellnerin im Kack-Mexikaner an der Schönhauser Ecke Danziger ist eine Superschauspielerin. Und eine der Kellnerinnen im „Prater“ kann ganz alleine Synchronschwimmen.
All diese Frauen, darauf wollte ich hinaus, sind also schwer auf Zack, haben mindestens studiert und sind dermaßen durchsetzungsfähig, daß einem als Mann ganz schwindlig werden kann. Wenn es aber nur das wäre! Tatsächlich bahnt sich da im Prenzlauer Berg geradezu ein Kellnerinnenwunder an – dagegen war das Rote Frauenbataillon der reinste Girlie-Spaß.
Denn man muß diese ebenso belastungsfähigen wie aufstiegsorientierten Bedienungen Mitte Zwanzig vor dem Hintergrund all der Männer an den Theken und drum herum sehen: Den meisten ist das Mißgeschick passiert, alt geworden zu sein, bevor sie dreißig wurden. Ihre Widerständigkeit ist bloß noch Macke und ihre Gesellschaftstheorie Gelaber, bestenfalls Logorhö. Entweder baggern sie die Bedienung an, um sie hernach in zähem Beziehungsclinch kleinzukriegen, oder sie saugen ihnen als gekonnte Motherfucker die Energie bereits über den Zapfhahn hinweg ab.
Es gibt daneben noch ganze Gruppen von Männern, die sich auf Handtaschendiebstahl spezialisiert haben. Der Verlust von Handy, dickem Schlüsselbund, Gesprächsaufzeichnungen und sechs Ausweisen nach Feierabend kann so eine Kellnerin, die womöglich noch gerade an ihrer Magisterarbeit über, sagen wir, Frida Kahlo sitzt, um mindestens drei Wochen zurückwerfen, wenn nicht gar ihren Elan entscheidend bremsen. Es steckt also System hinter den zugegebenermaßen gekonnten Abschnappereien dieser Drecksäcke mit Hundeblick.
Dennoch gibt es immer noch genug, die dort nur wegen des Nimbus arbeiten wollen – sie haben es finanziell nicht nötig. Das muß man sich mal vorstellen! Eva ist so eine: Ihr allabendlicher Servierdienst ist für sie eine Performance. Drei Stunden bereitet sie sich darauf vor – mit Klamottenanprobieren, Schminken, Umschminken und so weiter, wobei sie nervös wie ein Rennpferd vor dem Start wird. Und von 20 bis 3 Uhr früh ist sie dann derart auf Adrenalin und schlagfertig, daß ihre Absätze auf dem Metallfußboden sogar einmal Funken sprühten (ein Charlottenburger Dumpfregisseur hat das später als Filmidee verwertet).
Eva ließ sogar ihre Journalistenkarriere sausen und kellnert nur noch. Das Schlimmste, was man ihr antun kann, ist, ihr drei freie Tage zu geben. Dann besäuft sie sich schlechtgelaunt an irgendwelchen Theken und fühlt sich bloß noch „schlaff“. Ein Zustand, den die meisten Männer für gewöhnlich zügig anstreben. Ich nenne ihn „Nachdenken“, „Grübeln“ oder „Recherchieren“.
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