: Schikane gegen Kriegsflüchtlinge
■ In Bremerhaven ermittelt die Polizei gegen Kosovo-Albaner, die während des Krieges illegal nach Deutschland eingereist sind – obwohl sie bundesweit in anderen Städten geduldet sind
Bremerhaven liegt nicht nur Deutschland-geographisch im Abseits – sondern auch ausländerpolitisch und humanitär. Darüber herrscht in der Anwaltskanzlei Baudisch-Cimen kein Zweifel. Denn in Bremerhaven werden dieser Tage Kriegsflüchtlinge aus dem zerstörten Kosovo sonderbehandelt. Wer es wegen Kriegswirren und einrückendem serbischen Militär nicht schaffte, ein Einreisevisum für Deutschland zu organisieren, sondern stattdessen illegal nach Bremerhaven kam, erhielt zwar auch dort – wie bundesweit – eine befristete Duldung. Doch anders als in den übrigen Städten der Republik nimmt die Bremerhavener Kripo zugleich Ermittlungen gegen diese Flüchtlinge auf. „Das müssen wir“, sagt der Sprecher der Bremerhavener Polizei, Uwe Mikloweit. Nur die sogenannten 30 Kontingent-Flüchtlinge, die per international ausgehandelter Aufnahmezusage von Innenminister Schily nach Bremerhaven kamen, würden völlig unbehelligt bleiben. Für die übrigen Kriegsflüchtlinge gelte von Rechts wegen „Verfolgungspflicht“. Bei illegaler Einreise bestehe schließlich der Verdacht einer Straftat. „Da muß ermittelt werden. Das ist so.“
In anderen Städten, in Bremen und Berlin beispielsweise, ist das nicht so. Dort schüttelt man über Aktivitäten, wie sie derzeit in Bremerhaven entfaltet werden, vielmehr den Kopf. „Das sind doch Kriegsflüchtlinge“, sagt beispielsweise der Leiter der Bremer Ausländerbehörde, Dieter Trappmann. „Wir würden sowas nie tun.“ Auch die Bremer Polizei sieht im Fall der schätzungsweise rund 100 illegal eingereisten Kriegsflüchtlinge bislang keinen Grund zum Handeln – „es sei denn, sie gerieten vielleicht in eine Polizeikontrolle.“ So verfährt man auch in Bayern, bestätigt der Sprecher des dortigen Innenministeriums, Christoph Hillenbrand. Als „merkwürdig“ bezeichnet auch die Sprecherin der Berliner Innenbehörde das Bremerhavener Vorgehen – „mit der Einschränkung, daß ich es aus unserer Entfernung vielleicht auch nur schwer verstehen kann.“ In Berlin komme dergleichen nicht vor. „Was soll das denn auch, die Leute haben doch eine Duldung.“
Was das soll – auf diese Frage hat man im Bremerhavener Rechtsanwaltsbüro Baudisch-Cimen eine klare Antwort. „Das ist eine unerträgliche Einschüchterungstaktik“, sagt Rechtsreferendar Hauke Blumhoff. Er betreut einen 21jährigen Kosovo-Albaner, der im Mai dieses Jahres zu seinem Vater nach Bremerhaven geflohen war. Dessen engste Angehörige – Mutter und zwei Söhne – stammen aus Senik. Die Familie habe durch den Krieg alles verloren. „Das Haus, in das der Vater das ganze Geld gesteckt hatte und in das er nach bisher 27 Jahren Arbeit in Deutschland nach der Pensionierung einziehen wollte, ist zerstört“, heißt es im Anwaltsbüro. Die Mutter und der jüngste, heute 19jährige Sohn, die Zeit ihres Lebens im Kosovo gelebt hatten, waren bereits im April 1998 nach Bremerhaven gekommen. „Die haben noch das kleine Asyl bekommen“, sagt der Referendar. Der letzte Sohn aber hatte das Kosovo später verlassen. Er traf erst im Mai 1999 – als schon riesige Flüchtlingstrecks aus dem Kosovo strömten – in Bremerhaven ein. Wenig später kam die Vorladung der Kripo in der Wohnung des Vaters an – der für den Unterhalt seiner Familie selbst aufkommt. „Als hätte diese Familie nicht schon genug Sorgen“, sagt Blumhoff. „Und die zuständige Polizeistelle hat uns gesagt: Wenn der nicht zur Polizei kommt, kommt die Polizei zu ihm.“
Aus Sicht des Juristen ist das alles völlig überflüssig. Im Rahmen der Duldung sei bereits der Fingerabdruck seines Mandanten genommen worden. „Alle tun so, als würde man den Opfern des Krieges helfen und sie mit offenen Armen empfangen. Ganz im Gegenteil“, schimpft Blumhoff. „Ich weiß, wovon ich spreche. Der junge Mann, mit dem wir es hier zu tun haben, hat ohnehin schon genug erlebt.“ Auch der Sprecher der Bundesausländerbeauftragten, Uwe Knopf, ist irritiert. „Das ist das erste Mal, daß ich von sowas höre“, sagt er. In Bayern sagt Ministeriumssprecher Hillenbrand: „Die meisten Fälle, in denen wir ermitteln, werden bei der Staatsanwaltschaft sowieso eingestellt.“ Im südlichsten Bundesland rechnet man mit 2.000 illegalen Grenzübertretungen pro Monat – „von Menschen aus dem Kosovo. Wahrscheinlich kommen zum Winter auch Serben. Dort herrschen ja zur Zeit ebenfalls schwierige Verhältnisse.“ ede
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