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Auszug aus der neuen Mitte

■  Das Haus der Demokratie hat nach langen Querelen ein neues Quartier gefunden. In Prenzlauer Berg soll ein „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ entstehen

Der Kontrast könnte stärker nicht sein: Umgeben von Rolls Royce und Bugatti-Wagen, dem Audiforum, einem Bistro des Münchner Feinkosthändlers Käfer, Rolexuhren bei Wempe und dem Grandhotel, residieren etwa 45 Nichtregierungsorganisationen aus dem Bürgerrechts- und Umweltbereich, von denen einige schon im Namen ihre Haltung zum blühenden Kapitalismus zum Ausdruck bringen. So steht an der Tür eines kleinen Büros im Erdgeschoß des Hauses der Demokratie in der Friedrichstraße „Stiftung zur Aufarbeitung der Verbrechen des Kohl-Regimes“. Wenige Meter entfernt residiert das Wissenschafts- und Gesellschaftskritik-Magazin „Kalaschnikow“, das mit dem Aufkleber „Freiheit statt Kapitalismus“ wirbt.

Doch die Tage der friedlichen Kontrastsymbiose in der noblen Einkaufsmeile sind gezählt, der Kapitalismus hat gewonnen. Bis Mitte August müssen die ersten Mieter das Haus geräumt haben, Ende September muß das Haus besenrein sein. Denn die vom neuen Besitzer, dem Deutschen Beamtenbund, zugesagten rund acht Millionen Mark fließen erst dann, wenn das Haus leer ist (siehe Kasten). Bis dahin wird man wohl noch des öfteren Erklärungsversuche der besonderen Bewandtnis des Hauses auf der Straße hören: „Da ist das Haus der Demokratie“, sagte vorgestern eine junge Frau ihren Eltern. „Die Bohley, Runder Tisch und so“, fiel ihr dazu ein. Die Eltern nickten stumm.

Wer sich in den nächsten Wochen auf die Suche nach dem neuen Haus der Demokratie macht, kann nicht bequem mit U- oder S-Bahn vorfahren und nebenbei noch das Brandenburger Tor um die Ecke besuchen. Um zur neuen Adresse in der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg zu gelangen, muß man das Stadtzentrum verlassen und sich in die Straßenbahn setzen. Zwar liegt das neue Haus, ein Fabrikgebäude mit fast 5.000 Quadratmeter Fläche, von denen ein Teil noch vermietet ist, nur zwei Straßenbahnstationen vom Alexanderplatz entfernt. Doch die pulsierende Mitte ist das eben nicht. Gegenüber liegt ein Friedhof, auf der einen Seite gibt es einen Döner-Imbiß, auf der anderen einen Heilpraktiker der traditionellen chinesischen Medizin und den Nachfolger des DDR-Fremdsprachendienstes „Intertext“.

So gestalteten sich die Verhandlungen zwischen dem Stiftungsvorstand und dem Hausverein in den vergangenen Monaten äußerst kompliziert. Die von zwei Vertretern einer kleinen Erwerbsloseninitiative angekündigte Besetzung der Friedrichstraße ließ gar einen Kreditgeber abspringen. „Es ist ätzend“, sagt eine der Widerspenstigen, „daß die Commerzbank ein Konkursobjekt an die Bürgerbewegung los wird.“ Nach langem Hin und Her entschieden sich schließlich 42 der jetzigen 45 Nutzer – vom Mieterverein, der Humanistischen Union, der Grünen Liga und den Grauen Panthern bis hin zum Antidiskriminierungsbüro und dem Nichtraucherbund – für einen Neuanfang.

Verträge mit neuen Mietern gibt es aufgrund des erst vor wenigen Tagen unterzeichneten Kaufvertrages zwar noch nicht. Trotzdem freut sich die Stiftung „Haus der Demokratie“ über die „Voraussetzungen für die schon lange angestrebte Öffnung des Hauses der Demokratie für Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, die dort bisher noch nicht vertreten waren“. Bisher haben amnesty international und die Internationale Liga für Menschenrechte ihre Absicht bekundet, in das neue Quartier zu ziehen. Weitere Gruppen haben nach Angaben der Stiftung Interesse signalisiert. Peter Franck vom ai-Bundesvorstand sagte gestern auf einer Pressekonferenz, auf der die Pläne für ein „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ offiziell vorgestellt wurden, daß er hoffe, im Frühjahr 2000 mit der Berliner Regionalstelle und einem Großteil des Bonner Büros an der neuen Adresse arbeitsfähig zu sein. Franck erhofft sich „einen Neuanfang, der zum Mittun und Engagieren einlädt“.

Kritik am neuen Standort wies der Stiftungsvorstand gestern entschieden zurück: „Berlin hat nie nur ein Zentrum gehabt“, sagte Vorstandsmitglied Hans-Andreas Schönfeldt. „Haben Sie noch nichts von der neuen Berliner Mitte gehört?“ fragte Jutta Braband. Der dritte Mann im Vorstand, Klaus Wolfram, befürchtet immerhin, daß man angesichts der „vielen Klippen“ vielleicht die Hilfe der Landespolitik bräuchte. Zwar können mit den über 300.000 Mark jährlicher Mieteinnahmen der derzeitigen Gewerbemieter im neuen Quartier vorerst die Zinsen für den Kredit von über vier Millionen Mark getilgt werden. Doch wenn diese gekündigt sind, könnte es problematisch werden, wenn nicht noch mehr zahlungskräftige neue Mieter einziehen. Weil aber auch das „Solidarprinzip“ aufrechterhalten soll – finanzschwache Gruppen zahlen weniger Miete als finanzkräftige – wurde gestern eine Spendenkampagne „Baustein“ gestartet. Auf jeden Fall sollen nächste Woche die Umbauarbeiten losgehen und Ende September „richtig groß“ Neueröffnung gefeiert werden. B. Bollwahn de Paez Casanova

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