: Bremst EU Windstrom?
Kommissar leitet Verfahren gegen Stromeinspeisungsgesetz in Deutschland ein ■ Aus Freiburg Bernward Janzing
Es scheint, als räume Karel van Miert gerade seinen Schreibtisch auf. Denn kurz bevor er aus dem Amt schied, hat der EU-Wettbewerbskommissar noch schnell ein Verfahren gegen das deutsche Stromeinspeisungsgesetz eingeleitet. Er will prüfen lassen, ob die gesetzlich festgelegte Mindestvergütung für Strom aus regenerativen Energien aus Sicht der EU wettbewerbswidrig ist.
Die Aktion van Mierts hat in den Ökostrom-Branchen für Befremden gesorgt. Denn in der Vergangenheit hatte der Brüsseler Kommissar mehrfach erklärt, er wolle den Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema Einspeisungsgesetz abwarten, der ohnehin in diesem Jahr fällig ist. „Voreilig“ nennt daher der Bundesverband Windenergie den Schritt van Mierts.
Der Ex-Kommissar vertritt die Auffassung, daß die gesetzlich festgelegte Vergütung für Wind- und Solarstrom von derzeit 16,5 Pfennig zu hoch sei und die Bundesregierung damit eine unzulässige Beihilfe geschaffen habe. Aktueller Auslöser des van-Miertschen Aktionismus ist die Ökosteuer für Strom. Denn weil laut Stromeinspeisungsgesetz die Vergütungssätze an den Strompreis gekoppelt sind, steigen sie mit der Ökosteuer. So bringt eine Erhöhung der Strompreise um zwei Pfennig je Kilowattstunde der Windkraft eine um 1,8 Pfennig verbesserte Vergütung.
Obwohl der steuerbedingte Zuschlag sich erst im Jahr 2001 auf die Vergütung auswirken wird, stört sich van Miert schon heute daran. Zugleich unterschlägt er, daß die Ökosteuer kaum einen Anstieg der Vergütung bringen wird. Sie wird bestenfalls ausreichen, den durch die Liberalisierung des Strommarktes bedingten Preisverfall zu kompensieren. Denn die Auswirkungen des Marktes zeigen sich bereits: Im kommenden Jahr wird es für die Kilowattstunde Windkraft 0,4 Pfennig weniger geben als zur Zeit. Weitere Rückgänge sind sicher.
Entsprechend sieht man derzeit im Bonner Wirtschaftsministerium keinen Grund, für den hypothetischen Fall eines Erfolgs des EU-Kommissars ein Krisenszenario zu entwickeln. „Wir sind sehr zuversichtlich, daß eine einvernehmliche Lösung kommt“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Zumal ein Erfolg van Mierts auch den erklärten Zielen der EU zuwiderlaufen würde. Die Kommission selbst hat in ihren Weißbuch „Erneuerbare Energieträger“ eine Verdopplung des Anteils der regenerativen Energien bis zum Jahr 2010 gefordert.
Vor diesem Hintergrund wäre es absurd, das Einspeisungsgesetz zu kippen. Denn dieses ist so erfolgreich wie weltweit kein anderes Programm zur Förderung regenerativer Energien. Mit Inkrafttreten des Gesetzes im Januar 1991 erlebte die Windkraft in Deutschland einen Boom, den in diesem Ausmaß niemand vorhergesehen hatte. Die Bundesrepublik wandelte sich binnen weniger Jahre vom „Entwicklungsland“ zur führenden Windkraftnation. Inzwischen sind in Deutschland Windräder mit zusammen 3.400 Megawatt installiert, wovon allein im ersten Halbjahr 1999 rund 515 Megawatt errichtet wurden.
Im liberalisierten Markt allerdings muß das Stromeinspeisungsgesetz angepaßt werden, das ist auch unter Umweltorganisationen und Umweltpolitikern weitgehend unstrittig. Aus diesem Grund wird eine Novelle bereits intensiv diskutiert; Mit Vorlage des Ministeriumsberichts im Herbst dürfte das Thema konkret werden. Dann wird vermutlich ein Ausgleichsfonds geschaffen, der alle deutschen Netzbetreiber gleichermaßen an den Mehrkosten des Windstromes beteiligt – und nicht nur die Windhochburgen an der Küste.
Außerdem wird es wahrscheinlich eine gestaffelte Vergütungshöhe geben, die den unterschiedlichen Verhältnissen von Küsten- und Binnenland-Standorten Rechnung trägt. Und auch die unmittelbare Ankopplung der Vergütung an den Strompreis steht zur Debatte. Vor Oktober wird sich aber nicht viel tun.
Einen Monat hat die Bundesregierung jetzt Zeit, zu dem Vorstoß aus Brüssel Stellung zu nehmen. Dann kommt die Erwiderung, dann nochmals eine Stellungnahme. Und womöglich verläuft dann alles im Sand. Diese Einschätzung teilen auch viele Kleinerzeuger. So sieht auch Manfred Lüttke, Vorsitzender der AG Wasserkraftwerke Baden-Württemberg und zusammen mit bayerischen Kollegen einer der Väter des Stromeinspeisungsgesetzes, das Vorpreschen des Herrn van Miert gelassen: „Von der ersten Stunde an hat die Stromwirtschaft geschrien, das Einspeisungsgesetz werde nicht lange Bestand haben – inzwischen ist es fast zehn Jahre alt.“
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