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Neue Vermögensteuer wäre rechtlich möglich

■ Das entsprechende Urteil des Verfassungsgerichts von 1995 läßt Spielräume offen

Freiburg (taz) – Ist die Debatte um die Vermögensteuer eine Phantomdebatte? Gegner einer Wiedereinführung halten die Vermögensteuer für verfassungswidrig und weitere politische Diskussionen damit für überflüssig. Sie verweisen oft pauschal auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995. Doch Bedeutung und Reichweite dieses Urteils sind umstritten.

Als sich Karlsruhe mit der Vermögensteuer befaßte, wurde eine Steuer von 0,5 Prozent auf große private Vermögen und einem Prozentpunkt auf gewerbliche Vermögen erhoben. Umstritten war damals lediglich, ob das Grundeigentum gegenüber anderem Vermögen wie Geld oder Aktien unzulässig bevorzugt werde, weil die Immobilienbesteuerung auf veralteten Wertschätzungen beruhte. Dies bejahte das Gericht und forderte eine Reform bis Ende 96.

Darüber hinaus stellte der Zweite Senat in seinem Urteil ganz neue Verfassungsvorgaben für die Besteuerung von Vermögenden auf. Unter anderem wurde der sogenannte „Halbteilungsgrundsatz“ entwickelt. Danach dürfe der Staat vom Einkommen der Bürger nur etwa die Hälfte wegbesteuern. Die damalige Kohl-Regierung nahm diesen Halbteilungs-Grundsatz ernst und rechnete Spitzensteuersatz (53 Prozent) und Solidarzuschlag (7,5 Prozent) zusammen. Da war für eine zusätzliche Besteuerung der Vermögenserträge nun wirklich kein Platz mehr. Allenfalls hätte man das Vermögen der weniger Reichen besteuern können, weil deren Steuersätze bei der Einkommensteuer niedriger sind. Doch eine solche Extrasteuer für die Mittelreichen wäre natürlich unsinnig gewesen. Also gab es damals keine Reform der Vermögensteuer, und die alte (verfassungswidrige) Vermögensteuer lief Ende 1996 aus. Die SPD sah allerdings schon damals mehr Spielraum für eine Reform, konnte sich aber mangels Mehrheit im Bundestag nicht durchsetzen. So ist schon fraglich, ob der neu entwickelte „Halbteilungsgrundsatz“ überhaupt den Gesetzgeber bindet. Bindungswirkung haben nämlich nur die „tragenden Gründe“ eines Urteils. Für die Lösung der 1995 zu klärenden Frage waren die Exkurse ins Grundsätzliche nicht erforderlich. Dies hatte damals schon der Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde in einem Minderheitenvotum kritisiert. Doch auch die Befürworter des Halbteilungsgrundsatzes berufen sich auf Böckenförde. Der Sozialdemokrat hätte die Richter der Mehrheit sicher nicht so hart kritisiert, sagen sie, wenn es nur um „unverbindliche Randbemerkungen“ gegangen wäre.

Spielraum für neue Vermögensteuer-Diskussionen bietet auch das Urteil selbst. So wird dort als Grenze keine strikte 50-50-Teilung vorgeschrieben, vielmehr müsse die Besteuerung nur „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ bleiben, eine ziemlich dehnbare Grenze. Außerdem senken Freibeträge und Abschreibungsmöglichkeiten in Deutschland die effektive Steuerlast ganz erheblich. Bezieht man solche „Abzugstatbestände“ in die Rechnung ein, und dazu fordert das Verfassungsgericht ausdrücklich auf, dann ist der Halbteilungsgrundsatz in der Praxis völlig unbrauchbar geworden. Der rechtliche Spielraum für eine Vermögensteuer-Diskussion ist also durchaus da. Ob es bessere Alternativen gibt, ist eine andere Frage.

Christian Rath

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