: Neuer Oskar für Gerhard Schröder
■ Fünf Wochen vor der Landtagswahl watscht Saarlands Ministerpräsident Klimmt die „Neue Mitte“ von Kanzler Schröder ab. „Modern“ sei nur ein Kampfbegriff. Die Regierung spricht von einer „Einzelmeinung“
Bonn (taz) – Bundeskanzler Gerhard Schröder, dessen Popularität bei der Bevölkerung nach jüngsten Meinungsumfragen deutlich schwindet, muß sich jetzt auch mit Gegenwind in den eigenen Reihen auseinandersetzen: Gleich zwei sozialdemokratische Ministerpräsidenten, Reinhard Klimmt aus dem Saarland und Reinhard Höppner aus Sachsen-Anhalt, haben harsche Kritik an den wirtschaftspolitischen Leitlinien des Kanzlers geübt, die dieser vor einigen Wochen gemeinsam mit dem britischen Premierminister Tony Blair der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Besonders hart geht Klimmt mit dem Schröder-Kurs ins Gericht: In der Partei werde als „altmodisch abgestempelt“, wer „Wahlversprechen einhält und gelegentlich an unsere Grundwerte erinnert“, schreibt der Ministerpräsident in einem Brief an den SPD-Vorstand, der dem Stern und der Saarbrücker Zeitung vorliegt. Das Schröder-Blair-Papier erwecke den Eindruck, als solle künftig bei den Sozialdemokraten „die Gerechtigkeit ausgemustert werden“. Und weiter: „Daß sich die Verfechter des ,Dritten Weges‘ oder der ,Neuen Mitte‘ redlich bemühen, das Pulver neu zu erfinden, mit dem die ,alte‘ Linke bereits seit zwanzig Jahren schießt, kann für letztere kein Grund zur Klage sein. Es ärgert sie aber, daß sie dabei unterderhand mit dem Stigma des Unmodernen, des ,Traditionalisten‘ gezeichnet wird, nur weil sie nicht mit allem einverstanden ist, was die Politiker der ,Neuen Mitte‘ verkünden. In diesem Sinne wirkt die Bezeichnung ,modern‘ in dem Blair-Schröder-Papier auch als innerparteilicher Kampfbegriff, der eine faire Debatte erschwert.“ Klimmt macht die in dem Papier enthaltenen Thesen für das schlechte Abschneiden der SPD bei der Europawahl verantwortlich.
Eine „Einzelmeinung“ nannte der Kanzler nach Angaben einer Regierungssprecherin die Kritik von Klimmt. Aber auch der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reinhard Höppner vertritt in der Wochenzeitung Die Zeit die Auffassung, mit dem Politikansatz des Schröder-Blair-Papiers könne in Ostdeutschland kaum Politik gemacht werden. Es sei ein „provokativer Denkanstoß“. Wer aber glaube, „daß damit schon die Antwort auf die aufgeworfenen Fragen gegeben ist, denkt zu kurz“.
Beide Ministerpräsidenten fordern die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck, der ausdrücklich betonte, Klimmts Ansicht nicht zu teilen, wandte sich gegen eine öffentliche Diskussion des Themas zu diesem Zeitpunkt. Die Fraktion wolle zunächst das Prüfergebnis der zuständigen Kommission der SPD-geführten Länder und des Bundesfinanzministeriums abwarten. Das soll Mitte September vorliegen.
Bereits am 5. September allerdings finden im Saarland Landtagswahlen statt. Reinhard Klimmt genießt laut Umfragen persönlich zwar größeres Ansehen als sein CDU-Herausforderer Peter Müller, muß aber dennoch um seine Mehrheit bangen. In der Parteiengunst liegen die Christdemokraten derzeit um 3 Prozent vor der SPD, die seit 1985 in Saarbrücken allein regiert. Aus SPD-Kreisen war gestern die Vermutung zu hören, Klimmt bemühe sich vor allem mit Blick auf die Wahlen um eine Abgrenzung von Schröder. Eine offizielle Stellungnahme des SPD-Vorstands zum parteiinternen Streit war gestern nicht zu erhalten. Man sehe dafür keinen Anlaß, teilte ein Sprecher mit.
Bettina Gaus
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