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Ladenschlußzeiten weggeklebt

■  Der Kaufhof am Alexanderplatz, das nach Umsatz zweitgrößte Kaufhaus Berlins, will Ladenschlußgesetz mit Aufklebern umgehen, Dussmann sonntags bis 22 Uhr öffnen. Beides ist illegal. Der Ladenschluß-Streit eskaliert

Der Streit um den Ladenschluß in Berlin hat gestern eine absurde Wendung genommen: Der Geschäftsführer des Kaufhauses Kaufhof am Alex kündigte an, künftig auch sonntags zu öffnen und alle Waren zu Souvenirs zu erklären – mit einem einfachen Aufkleber „Berlin Souvenir“, der beim Verkauf auf die Artikel geheftet wird. Damit soll das Ladenschlußgesetz umgangen werden, das nach der Berliner Umsetzungsverordnung nur für Güter „touristischen Bedarfs“ den Verkauf auch sonntags erlaubt.

Die Senatsverwaltung für Soziales hat die Pläne von Kaufhof bereits für illegal erklärt, die Gewerkschaften laufen Sturm, und das Kulturkaufhaus Dussmann kündigte sogar an, ab September sonntags bis 22 Uhr verkaufen zu wollen.

Der 1. Geschäftsführer von Kaufhof am Alex, Günter Biere, erklärte, mit dieser Aktion mache man sich „nicht lustig“ über den Ladenschluß. Der Kunde werde es aber dem Kaufhaus danken, wenn man länger offen habe: „Ab sofort sind wir ein Warenhaus voller Souvenirs.“ Denn solch ein Andenken sei – samt Aufkleber – auch etwa der Anzug, den ein Tourist am Sonntag kaufe und für jemanden aus Berlin mitbringe. Es gehe nicht darum, einen „Flächenbrand“ gegen das Ladenschlußgesetz loszutreten, der „Flächenbrand“ sei schon da.

Irritiert zeigte sich Biere auch nicht durch die Tatsache, daß das für die Gewerbeaufsicht verantwortliche Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi) postwendend damit drohte, Zwangsgelder bis zu 100.000 Mark zu verhängen. Allerdings will LAGetSi dieses Wochenende noch Unternehmen, die öffnen könnten, lediglich über die Ladenschlußregelungen beraten und erst am kommenden Wochenende „mit geballter Kraft“ zuschlagen, erklärte der Behördensprecher.

Eine Sprecherin des Betriebsrats des Kaufhofs am Alex sagte, man habe der nötig gewordenen Neuregelung der Arbeitszeiten deshalb zugestimmt, da gleichzeitig Neueinstellungen zugesichert worden seien. Außerdem sehe die Vereinbarung den Verbot betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2000 beziehungsweise 2001 vor. „Die Beschäftigungsgarantie ist Wahnsinn“, betonte sie. Allerdings müssen die etwa 800 Mitarbeiter ab November jeden zweiten Sonntag arbeiten.

Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) sprach dagegen von einer „rechtswidrigen Handlung“ von Kaufhof. Für diesen einen Betrieb sei die Vereinbarung zwar eine „tolle Regelung“. Probleme drohten aber den Unternehmen, die nun gezwungen seien, ebenfalls sonntags zu öffnen, um dem Wettbewerb standzuhalten. Da durch längere Öffnungszeiten nicht mehr konsumiert werde, könnten viele Geschäfte dann lediglich mehr Kosten haben – Arbeitsplatzabbau drohe. Deshalb müsse der Senat gegen die Kaufhof-Pläne vorgehen. Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen sprach gar von „krimineller Brandstiftung“ durch die Kaufhof-Pläne. Man werde am Sonntag einen „Spaziergang über den Alex“ machen.

Der Geschäftsführer des Berliner Gesamtverbandes des Einzelhandels erklärte, er habe eine „gewisse Sympathie“ für die Aktion von Kaufhof, werde aber jedem abraten, sich daran zu beteiligen, da dies die Rechtslage nicht erlaube. Dennoch halte der Verband das Ladenschlußgesetz für „dämlich“:

Etwa zwei Dutzend Einzelhändler am Potsdamer Platz hatten schon im vergangenen Dezember illegal geöffnet, manche haben sogar bis heute offen. Sie nahmen Bußgelder bis zu 1.000 Mark pro illegaler Öffnung in Kauf. Der Berliner Senat hat im Bundesrat eine Initiative zur Ausweitung der Ladenöffnungszeiten angeregt: Der Sonntag aber soll demnach weiter Ruhetag bleiben. Philipp Gessler

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