: „Netz ein bißchen enger knüpfen“
■ Gekürzte Sozialhilfe und mögliche Sparausnahmen für Frauenhäuser oder Kindergärten: Die neue SPD-Sozialsenatorin Hilde Adolf im taz-Gespräch
Den Sozialhilfe-EmpfängerInnen geht es an den Kragen. Bremens neue Sozial-Senatorin Hilde Adolf (SPD) kündigte jetzt Einschnitte an – und reagierte damit auf den jüngsten Rechnungshofbericht, der bei den Sozialhilfeausgaben Sparpotential von 30 Millionen Mark entdeckt hatte (wir berichteten). Grundlage dafür war das „benchmarking“ – ein Städtevergleich, der Städte mit niedrigsten Ausgaben zum Sieger kürte – wie z.B. Bremerhaven: Dort wurde bereits die Kleiderpauschale von halbjährlich 339 auf 270 Mark gesenkt und die Kleider-Tragezeit erhöht. Wir sprachen mit Hilde Adolf über ihre Pläne für die Sozialhilfe und den Sozialbereich.
taz: Als der Rechnungshof das letzte Mal Kürzungen forderte, warnte ihre Vorgängerin Tine Wischer noch: Nicht dem „Rechenschieber“ Vorrang geben. Sie dagegen handeln sofort. Weht jetzt ein härterer Wind?
Hilde Adolf: Das mag so empfunden werden.
Warum?
Wenn der Rechnungshof bestimmte Dinge aufzeigt, hat man sich damit auseinanderzusetzen. Er geht von rein finanzpolitischen Gesichtspunkten aus, während bei mir die sozialpolitische Verantwortung liegt. Da gibt es natürlich Bewertungs-Unterschiede: Der Rechnungshof sagt, der Billigste ist der Beste. Und ich sage: Das stimmt nicht. Aber gleichwohl ist auch der Teuerste nicht der Beste.
Trotzdem wollen Sie sich am Billigeren orientieren und z.B. die Bekleidungspauschalen kürzen?
Wir können in Bremen nicht so tun, als lebten wir auf einer Insel. Wir haben auch zu beobachten, was woanders bewilligt wird. Und wenn es sozialpolitisch vertretbar ist, kann man sich ein Stück an dem orientieren, was andere weniger zahlen.
Also doch der Rechenschieber?
Wir haben zum Teil bessere Leistungen in Bremen, was ich den Sozialhilfe-Empfängern ja auch indidividuell gönne. Das ist überhaupt nicht mein Thema. Aber leider sind wir im Rahmen der Sanierung dazu gezwungen, uns auch anderen anzupassen.
Ihre Vorgängerin hat das bezweifelt. Die Rechnungshof-Berechnungen seien zum Teil falsch, weil zum Beispiel nur die reinen Pauschalen der Städte verglichen wurden – und nicht, daß nebenbei noch Sonderhilfen gewährt werden oder spezielle Möbelkammern existierten, die Personalkosten produzierten?
Zum Teil hinkt der Vergleich in der Tat. Aber deshalb sage ich ja auch: Der Billigste ist nicht gleich der Beste und der Billigste ist möglicherweise auch gar nicht der Billigste. Gleichwohl müssen wir sehen, daß wir uns da – auch wenn die Zahlen möglicherweise nicht als Grundlage stimmen – ein Stück weit verändern müssen.
Sie könnten aber auch den Städtevergleich in der Luft zerreißen und sagen: Ich bin Sozialsenatorin und vertrete damit die Ärmsten der Armen.
Dafür bin ich auch angetreten. Aber ich habe in meinem Haushalt nicht nur diesen Teil zu vertreten, sondern auch noch die Jugendlichen, die Kinder – und ich muß sehen, daß ich mit den Mitteln, die ich habe, allen gerecht werde.
Aber mal Hand aufs Herz: Die rund zehn Millionen Mark Sparpotential, die Sie bei der Sozialhilfe sehen, sind doch im Verhältnis zu den eine Milliarde Mark schweren Sozialausgaben Peanuts. Man hat den Eindruck, daß bei der Sozialhilfe jetzt siebenmal der Pfennig umgedreht wird – während die Ämter für Soziale Dienste jahrelang ohne Controlling mit vollen Händen Geld ausgegeben haben?
Die Ämter für Soziale Dienste sind gerade in der Umstrukturierung. Und ich bin dabei entschlossen, alles zu nutzen, was ich an Möglichkeiten habe. Auf der anderen Seite ist mir ein Nullwachstum bei den Sozialausgaben vorgegeben worden – und das muß ich zur Kenntnis nehmen.
Jahrelang bekamen z.B. Drogenhilfeträger einfach ohne Leistungskontrolle Geld für Maßnahmen im vorhinein oder Tagessätze, die von Anbieter zu Anbieter um bis zu 100 Mark schwankten – jetzt muß wegen solcher Versäumnisse in der Not das Kleidergeld gekürzt werden?
Meine Vorschläge sind nicht allein auf die Bekleidungspauschale reduziert. Wir wollen auch versuchen, die Einnahmesituation zu verbessern – indem man verstärkt diejenigen erreicht, die unterhaltspflichtig sind. Mit vollen Händen wurde das Geld sicherlich nie ausgegeben. Wenn man angefangen hat zu reduzieren, bekam man die Fragen gestellt, die Sie jetzt stellen. Es ist immer schwierig, Dinge zurückzunehmen.
In Hamburg hat die Sozialsenatorin damit angefangen: Sie setzt jetzt voll auf Leistungskontrolle bei Angeboten von freien Trägern für Drogenabhängige, alte Menschen oder Kinder. Wollen Sie auch eine solche Richtung einschlagen?
Der Rechnungshofbericht ist sehr kurz nach meinem Amtsantritt herausgekommen. Dazu habe ich mich öffentlich geäußert. Ich werde natürlich in meinem Bereich alle Möglichkeiten suchen, um möglichst wenig Verwaltungskosten entstehen zu lassen – und möglichst viel an die Menschen zu bringen. Da wird sich möglicherweise die eine oder andere Chance ergeben.
Und Sie fürchten nicht, daß Ihr Bereich zum Armenhaus der Nation wird? Immerhin hat die große Koalition nicht nur ein Nullwachstum für die Sozialhilfe-Ausgaben vereinbart, sondern auch eine jährliche 2,1 prozentige Kürzung der öffentlichen Zuschüsse für die komplette soziale Infrastruktur von der Altentagesstätte bis zum Frauenhaus?
Für mich stehen z.B. Frauenhäuser absolut nicht zur Disposition. Es gilt jetzt, die uns gegebenen finanziellen Mittel verantwortungsvoll einzusetzen.
Also wird es eine Prioritätenliste geben, die zum Beispiel auch die Kindergärten verschont?
Wir werden Prioritäten setzen müssen. Wie das aussieht, werden wir in nächster Zeit besprechen. Dem möchte ich aber nicht vorgreifen.
Das Nullwachstum wurde ja vereinbart, weil man davon ausging, daß die Sanierungspolitik greift und Arbeitsplätze geschaffen werden. Glauben Sie daran?
Die Stimmung im Land ist gut. Die Zahlen rechtfertigen diese sehr gute Stimmmung zwar noch nicht so sehr. Aber wir gehen davon aus, daß sich das jetzt möglichst schnell auf dem Arbeitsmarkt auswirken und dann auch in meinem Bereich niederschlagen wird.
Und wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie einen Tag lang mal soviel Geld ausgeben dürften wie die Wirtschaftsförderer?
Ich muß mich mit den Realitäten befassen und nicht mit dem Wunsch, einfach mal alles machen zu dürfen, was ich gerne möchte.
Sie wollen die 1.000 BSHG-19-Verträge für Sozialhilfe-Empfänger verdoppeln. Woher nehmen Sie die dafür benötigten 40 Millionen Mark?
Das werden Sie unserem künftigen Haushaltsentwurf entnehmen können. Durch die Verknüpfung vom Arbeits- mit dem Sozialressort bieten sich da verschiedene Möglichkeiten.
Wird eine straffe große Beschäftigungsgesellschaft wie z.B. in Leipzig entstehen?
Den Leipziger Weg mit einer großen Beschäftigungsgesellschaft wollen wir nicht gehen. Welchen Weg wir gehen wollen, diskutieren wir zur Zeit sehr intensiv.
Es wird befürchtet, daß Sie mehr auf Zwang gehen und die Prämienarbeit für Sozialhilfe-Empfänger ausweiten.
Ich möchte das Netz ein bißchen enger knüpfen, weil mein Etat gedeckelt ist. Deshalb liegt mir sehr viel daran, daß das Geld auch an die Menschen kommt, die es wirklich benötigen. Dies wollen wir mit mehr Angeboten erreichen, die von der Beratung über die Qualifizierung bis zur Arbeit reichen. Daß wir möglichst vielen Arbeit anbieten wollen, ist nur logisch. Dann fallen möglicherweise einige heraus, weil sie vielleicht bereits woanders arbeiten und unser Angebot nicht annehmen.
Allerdings können von den 50.000 Empfängern fast 45.000 gar nicht arbeiten, weil es Rentner, alleinerziehende Mütter und Kinder sind.
Dann bleiben aber immerhin noch 5.000. Wenn ich es für sie erreiche, eine Perspektive zu eröffnen, ist das schon viel. Denn wenn ich den ganzen Tag zuhause sitzen müßte, weil es für mich nichts gibt, wäre das ganz schrecklich für mich. Und vielleicht sagt ja von den 5.000 die Hälfte: Ich mache was und ich sehe auch ein, daß ich für die Leistung, die mir die Gesellschaft gibt, auch im Rahmen meiner Möglichkeiten eine Gegenleistung bringe.
Aber das scheint ja gar nicht das Problem zu sein: Das Problem ist vielmehr, daß die Leute zum Teil nur für ganz bestimmte Helferjobs einzusetzen sind.
Noch einmal: Wir setzen auch auf Qualifizierung und darauf, auch anspruchsvolle Arbeitsangebote zu machen. Wenn wir mit dem Arbeitsbereich kooperieren, wird es uns sicher gelingen, da sinnvolle Lösungen zu finden.
Welche? Mehr Prämienarbeit in Parks und Grünanlagen?
Die Leute sollen etwas möglichst Sinnvolles im Rahmen ihrer Möglichkeiten machen.
Sollen sie nun alle Laub harken und Müll aufsammeln oder nicht?
Sie sollen natürlich nicht alle Laub harken. Das gehört aber bei manchen auch dazu. Denn sie können nicht alle Menschen, um die es geht, über einen Kamm scheren. Für einige ist das ja vielleicht sogar etwas Sinnvolles.
Sie wollen von Sozialhilfe-Empfängern künftig auch Gebrauchtmöbel sowie gebrauchte Elektrogeräte herrichten lassen, um Sozialhilfe zu sparen.
Wir prüfen derzeit, ob man Sozialhilfe-Empfängern statt Geld- nicht auch Sachleistungen zur Verfügung stellen kann – über Beschäftigungsträger, die dieses Herrichten als Maßnahme anbieten und darüber auch wieder sinnvoll Menschen beschäftigen können.
An innovative Beschäftigungsprojekte, die Leute auch in die freie Wirtschaft bringen – wie zum Beispiel in Holland mit einem Supermarkt, in dem nur Langzeitarbeitslose arbeiten – wird nicht gedacht?
Es werden in Bremen schon viele neue Wege beschritten, zum Beispiel über die Dienstleistungsagentur Q-Rage in Bremen oder IDA in Bremerhaven, die job-rotation in Bremen-Nord oder die verschiedenen Betriebe der Trainingsgastronomie. Ich bin bereit, solche Kreativität in Zukunft an jeder Stelle zu unterstützen.
Und Sie hätten nicht mal gerne soviel Geld wie die Wirtschaftsförderer?
Dann wäre mit Sicherheit alles viel einfacher – ob es allerdings im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe besser wäre, das ist die Frage.
Fragen: Katja Ubben
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