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Geruch verschwitzter T-Shirts

Wohnen mit Leuten aus der ganzen Welt im Backpacker-Hostel in Berlin-Mitte. Eine Übernachtung kostet 25 Mark. Englisch ist die Hauptsprache der Rucksack-Reisenden    ■ Von Gereon Asmuth

Am Ende des grauen Hofes strahlt die Leuchtreklame des „Ballhauses Berlin“. Im ersten Stock residierte bis vor kurzem die evangelische Gnadengemeinde. Darüber ein brasilianischer Sambaclub und ein multikulturelles Jugendzentrum. Erst im fünften Stock des Gewerbealtbaus an der Chausseestraße 102 in Berlin-Mitte erwartet die schwerbepackten Reisenden die angepeilte Ruhestätte: Das „Backpacker-Mitte-Hostel“, eins der wenigen Billig-Hostels für Rucksacktouristen in Berlin.

Am „Reception desk“ wird ein erstes Bier getrunken, andere lungern auf dem Sofa herum und spielen Schach. „Helloooo“, empfängt Autumn aus Kalifornien hinter der Rezeption die Neuankömmlinge in breitem Amerikanisch und klärt die Check-in-Formalitäten. Die 20jährige hat vor kurzem ihren Schulabschluß gemacht und will nun für ein paar Jahre durch die Welt reisen. Um das zu finanzieren, sucht sie sich hin und wieder einen Job.

Daß sie kein Deutsch spricht, sei keineswegs ein Marketing-Gag, erklärt Ante Zelek. Für den 35jährigen Inhaber des Hostels geht es um „Authenzität“. Englisch sei nun mal die Hauptsprache der Rucksack-Reisenden, sie kämen in erster Linie aus Nordamerika und Australien.

Zelek war früher selbst als Traveler unterwegs. Aus New York, wo er Ende der 80er Jahre eine Zeitlang in einem ähnlichen Hostel arbeitete, brachte er seine „Lebensidee vom gemeinsamen Wohnen mit Leuten aus der ganzen Welt“ nach Berlin. 1994 öffnete er in Kreuzberg eine Fabriketage für Traveler. Vor anderthalb Jahren zog er in die Chausseestraße und erweiterte das Projekt auf 15 Zimmer mit insgesamt 60 Betten.

Zelek schlendert barfuß über den Teppichboden im ganz in Blau-Grün gehaltenen „underwater-room“, in dem Papierfische von der Decke baumeln, und dann zum „skyline-room“, an dessen Wänden ein Australier seine Eindrücke vom Berliner Bauboom verewigt hat. „Künstler, die hier vorbeikommen, können eine Weile kostenlos bei uns bleiben, wenn sei uns dafür einen Raum gestalten“, erklärt Zelek. Nur wenige Zimmer sind noch farblos.

Die Übernachtung in einem Achtbettzimmer kostet 25 Mark. Je weniger dieser einfachen Holzbetten in einem Raum stehen, desto teurer wird die Nacht. Private Abgeschiedenheit für 38 Mark pro Person bietet der mit Girlanden geschmückte „honeymoon room“. Die Einzelbetten dürfe man auch zusammenschieben, erklärt Zelek augenzwinkernd.

Im Laufe des Abends sammeln sich die Gäste im „Fruit-of-the-loom-room“, der Selbstversorger-Küche, die mit Einwickelpapier von Zitrusfrüchten verziert ist. Zwei Leute kochen Spaghetti, vier Amerikaner genießen das billige „German beer“ aus den ungewohnt großen Flaschen. „Und wo kommst du her?“ Das ist die Standardfrage, wenn sich jemand neues hinzugesellt. „Aus Südafrika. Johannesburg.“ „Ah ja, das kommt bei uns immer in den Nachrichten.“ „Und woher bist du?“ „Chicago, USA.“ „Oh, sie haben bei uns viel über Monica Lewinsky im TV berichtet.“

„In solchen Hostels lernt man unheimlich schnell Leute kennen“, meint Brendan, Physiotherapeut aus Toronto. Der 25jährige, der wie viele Backpacker allein reist, sieht in der Anonymität eine Chance. „Du redest zehn Minuten oder eine Viertelstunde mit jemandem und kannst ihm alles sagen, was dir auf der Seele brennt, auch wenn du häufig nicht mal seinen Namen kennst, denn du siehst ihn garantiert nie wieder.“

Manchmal hält der Kontakt aber auch länger. Jim und Sue aus Nebraska haben sich in Berlin mit dem 18jährigen Ryan zusammengetan, der nach seinem Europatrip in Berkeley Philosophie studieren will. „Wir waren mit ihm in Potsdam“, erklärt Sue, „der Typ hat immer eine Karte in der Hand und findet jeden Weg.“ Nun wollen sie gemeinsam nach Prag reisen.

Die meisten Backpacker klappern Europa in drei bis sieben Wochen ab. Drei Tage London, zwei in Paris und nun Berlin. Die deutsche Hauptstadt liegt auf der Standardstrecke zwischen Amsterdam und Prag.

Die Gespräche im Hostel drehen sich vor allem um das nächste Reiseziel, man tauscht Tips aus. Berlin taucht in den Gesprächen nur dann auf, wenn man danach fragt. „Alle Museen sind wegen Renovierung geschlossen“, klagt Jim. „Randvoll mit Geschichte“, staunt Brendan, der gerade eine siebenstündige Sightseeing-Tour zu Fuß hinter sich hat.

Autumn versucht inzwischen, ein paar Leute zum Besuch in der Techno-Disko Tresor zu überreden: „Tonight only five marks.“ Schließlich macht sie sich mit einer kleinen Gruppe auf den Weg, die anderen verschwinden nach und nach in die Zimmer. Im „Garden of Eden“, mit Sonnenblumen dekoriert, hat sich Mandy, eine 23jährige Taiwanesin, an ihren Teddy gekuschelt. „Paris gefällt mir besser“, murmelt sie vor dem Einschlafen, „hier sind mir zu viele Baustellen.“ „Lärm ist einfach nicht ihr Ding“, erklärt ein Holländer im Nachbarbett. „Letzte Nacht hat sie nebenan geschlafen. Da hat jemand total laut geschnarcht.“

Die Nacht ist kurz. Schon vor 7 Uhr rascheln sich die ersten aus ihren Schlafsäcken, weil Zug oder Flugzeug warten. Im Zimmer schwebt ein Hauch von zu lang getragenem T-Shirt.

An der Rezeption mischen sich die Abreisenden mit den Neuankömmlingen, die von der Fahrt im Nachtzug gerädert sind. Nur Autumn jongliert trotz Disco-Besuch erstaulich frisch mit den Telefonen. Hannah und Vera checken aus. Anders als die meisten Gäste haben sie die Hostel-Adresse weder aus dem „lonely planet“, der Bibel für Rucksackreisende, oder aus dem Internet, sondern aus der Brigitte, wie sie verschämt zugeben. Unten auf dem Hof packen ihre Freunde die Taschen ins Auto. Sie wollen in eine Stadt, die von den anderen Reisenden kaum einer kennt: Bonn.

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