: Eszett-Schlupflöcher stören taz-Harmonie
Der Rechtschreib-Rums und seine Folgen: Letzte Nacht führten alle deutschen Presseagenturen die neuen Regeln ein ■ Von Nick Reimer
Egal ob es auf den Hawaiiinseln Teeeier gibt oder nicht: Schifffahrt und Delfine bleiben weitgehend unbetroffen. Betroffen ist aber die geneigte Leserschaft: Letztmalig halten Sie heute eine „alte“ taz in ihren Händen. Ab Montag wird alles anders. Es ist nicht übertrieben, vom Beginn eines neuen publizistischen Zeitalters zu sprechen.
Schuld ist ein gewaltiger Rums, den die Redaktion mit einer gewissen Missstimmung in der vergangenen Nacht registrierte. Nein, nein, weder ist die neue Chefredaktion zurückgetreten noch eine alte Rettungskampagne nötig. Der Rums kam diesmal von außerhalb. Exakt um Mitternacht stellten nämlich die Presseagenturen ihre Arbeit um – auf „neue Rechtschreibung“. Nicht nur alle Zeitungen Deutschlands machen mit, sondern auch viele Amtsstuben und Unternehmen.
Ehrlich gesagt hat sich in der Redaktion bislang niemand wirklich für die neue Rechtschreibung interessiert. Klar ist hier lediglich, dass sich das neue Zeitalter vor allem in der Verbannung des geliebten Eszett ausdrückt. Was besonders mein Boss hasst. Das Eszett war für sein Tagewerk immer ein bisschen Genuss. Jetzt muss er „dass“ schreiben, was nicht nur Spaß raubt, sondern auch einen erheblichen Mehraufwand an Arbeit bedeutet. Schlechterdings ein Albtraum.
Dass so ein Rums nicht ohne Folgen bleibt, ist klar: Der progressivste Teil der Redaktion trat umgehend in den Hungerstreik. Aus Protest: Die Eszett-Verbannung sei von den Rechtschreibreformern nur unzureichend umgesetzt. Nach einem langen Vokal gewähren die Schreibregler dem Eszett nämlich immer noch ein letztes Refugium. „Nieder mit den Eszett-Schlupflöchern!“ steht deshalb auf einem Transparent.
Zum Beispiel bei „in Maßen“. Dem hungerstreikenden Bildungsredakteur – er hat es mit der Niere – verordnete sein Hausarzt den „Genuss von Bier in Maßen“. Mit ziemlicher Sicherheit wird die Bildungsseite in der kommenden Woche ausfallen. Innovativ wie immer stopfte der Bildungsredakteur dieses Eszett-Schlupfloch. Bei ihm heißt es nach neuer Schreibart einfach „in Massen“. Seitdem ist er sturzbesoffen.
Während die Eszett-Gegner in der Dachetage hungern, halten die Eszett-Befürworter den Verlagseingang besetzt. „Jeden Tag eine gute taz!“, brüllt der Vorsänger. „Das geht nur mit Eszett!“, skandiert der Chor der Masse. Die Wortführer kommen aus dem Kulturressort. Sie zitieren Goethes „Elemente“ – und zwar nach neuen Regeln. „Dann zuletzt ist unerlässlich, dass der Dichter manches hasse; was unleidlich ist und hässlich“.
Dieser Text wird in der taz für lange Zeit der einzige bleiben, der im Zeitalter der neuen Rechtschreibung leidlich korrekt ist. Die Chefredaktion bot inzwischen nämlich Vermittlungsgespräche zum Eszett-Konflikt an. Sorry, liebe Leser, der Kompromissvorschlag geht voll zu euren Lasten: Wir nehmen die neuen Regeln der Rechtschreibkunst erst mal nicht so genau. Ihr könnt ja protestieren. Aber bitte in Maßen.
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