: Schwingen zwischen Tagebuch und Netzpost
■ Rainald Goetz ist auf Reisen, Christian Kracht errät gern Romananfänge und Elke Naters träumt von einem Schreibbüro: „pool“ ist eine Website aus dem Alltag von Popliteraten
Die Idee kam letzten Donnerstag um halb drei Uhr morgens. Da wußte Moritz von Uslar, warum Texte geschrieben werden: Weil sich Autoren für die Größten halten. Das hat er zumindest bei Adorno gelesen. Und er findet, dass dieses bisschen Selbstliebe durchaus berechtigt ist – sonst würde „pool“ wohl nicht existieren.
Moritz von Uslar arbeitet für das noch immer nicht abgewickelte Magazin der Süddeutschen Zeitung, und www.ampool.de ist eine Website, auf der sich von Uslar mit sechzehn Kollegen seit zwei Monaten darüber Gedanken macht, wie Alltag, Leben und Literatur zusammenhängen. Dabei verdienen die Beteiligten ihr Geld durch das Schreiben, einige sind Künstler, andere filmen fürs Fernsehen oder drehen selber Filme. Ein gewisser Distinktionsgewinn gehört dazu: Benjamin Lebert wurde eingeladen, hat aber noch keine Nachricht hinterlassen; Thomas Kapielski ist mit gut dotierten Literaturpreisen zu sehr beschäftigt, und bei Rainald Goetz steht bloß die Message „auf Reisen“. Willkommen in Popland 1999.
Groß gegrübelt wird im „pool“ trotz gut dotierter Besetzungsliste nicht: Die meisten Einträge – mittlerweile ist das Konvolut aus Briefen, Statements und Notizen gut 60 gedruckte Din-A4-Seiten stark – schwingen entspannt im Hier und Jetzt zwischen Tagebuch und Netzpost. Deshalb findet sich in Kommentaren zur Homepage häufig der Hinweis, der Pool existiere nicht nur als Bild, sondern als realer Treffpunkt, wo sich Leute ab Dreißig aufwärts in Sonnenliegen fläzen, an Cocktails nippen und über Gott und die Welt unterhalten. Oder über Designer-Schlipse von Ermenegildo Zenga, an denen Kinder mit ihren Klettverschlußschuhen hängen bleiben.
Das freut wiederum Georg M. Oswald, der als Münchner „pool“-Korrespondent keine Lust hat, „hier über Dichtung und Wahrheit zu schreiben“. Ihm geht es ähnlich wie Christian Kracht, der besonders gern Romananfänge errät und ansonsten zur Zeit in Thailand herumurlaubt, oder Eckhart Nickel, der über seine Erlebnisse auf den morgendlichen Zugfahrten von Heidelberg nach Straßburg berichtet. Manchmal gibt es E-Mail-Debatten, ob man besser im BMW oder mit der Deutschen Bahn reist; manchmal haben die Leute auch am Tag zuvor einen getrunken und die Texte sind dann sehr verkatert.
Dagegen denkt Elke Naters bei „pool“ an „ein Schreibbüro, wo wir immer hingehen und fleißig nebeneinander sitzen und schreiben“. Die Berliner Schriftstellerin hat vermutlich recht. Immerhin hat sie gemeinsam mit Sven Lager das Forum im Internet eingerichtet, um die tägliche Textarbeit mit anderen zu teilen. Schließlich geht es auch um die Bedingungen der Produktion; darum, wie sich beim Schreiben Gedanken verdichten oder eben als „Abfall für alle“ im Netz abgelegt werden. Es war nicht zuletzt Rainald Goetz, der auf seiner Homepage im letzten Jahr unter diesem Motto an die Öffentlichkeit ging. Wo Goetz aber die eigene Textmaschine auch als eine Art Schutzwall gegen zuviel Außeneinflüsse installiert hatte, möchte die „pool“-Mannschaft tatsächlich Schreiben und Leben verbinden. Im Gästebuch tummeln sich schon jetzt entsprechend seltsame Gestalten vom Disco-Typen aus Nürnberg bis zur Hamburger Social-Beat-Autorin, die allesamt gerne bei „pool“ andocken würden. Mitunter werden auch nur Grüsse gesendet, an die Schwestern von denen, denen man gerade den neuesten Klatsch aus Berlin geschickt hat. Dann dreht sich das Netz im Kreis der Beteiligten.
Mit Briefwechseln unter Schriftstellern oder literarischem Kummerkasten hat das alles nicht viel zu tun, eher schon mit einer privaten Infobörse. Trotzdem kippt diese Privatheit nie in Selbstentblößung um – dafür sind die meisten „pool“-Schreiber zu mediengeschult.
Und manchmal kommt auch ein Stück Literatur zustande: „es ist nicht das alter, das einen gehen lässt, im gegenteil, das alter erfordert zwanghafte disziplin. nicht für alles, für manches, der rest verkommt. alte männer, die stundenlang ihre hemden bügeln, aber sich nicht ordentlich am hals rasieren“, schreibt s.l. am 28. 7. Zwei Tage später antwortet ihm Moritz von Uslar mit einer sauberen Stilkritik: „Wenn es Deinen Schreibspeed nicht bremst, lieber Sven, wenns sich irgendwie einrichten ließe: Schreib doch auch mal einen Buchstaben GROSS, am besten die, die sich groß gehören. Nicht immer alles KLEIN! Es LIEST sich soviel besser, wenn es in den Buchstaben auf und ab geht. Nicht?“ Fricketaz.de ‚/B‘www.ampool.de
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