Chemiewaffeneinsatz im Sudan?

SPLA-Rebellen und eine Hilfsorganisation berichten von merkwürdigen Luftangriffen der Regierung: „Grünliche Farbe und ein scheußlicher Geruch“    ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Die sudanesische Regierung hat bei ihrem andauernden Krieg gegen die Rebellenbewegung „Sudanesische Volksbefreiungsbewegung“ (SPLA) im Süden des Landes möglicherweise Chemiewaffen eingesetzt. Entsprechende Anschuldigungen der SPLA wurden am Wochenende von einer in der betroffenen Region arbeitenden Hilfsorganisation zögerlich bestätigt. Die Vorwürfe werden jetzt von verschiedenen Hilfsorganisationen untersucht.

Ein SPLA-Sprecher hatte am Freitag in Nairobi gesagt, dass die sudanesische Luftwaffe am 23. Juli die von der SPLA gehaltenen Orte Lainya und Kaaya in der Provinz West-Equatoria nahe der Grenze zu Uganda bombardiert habe. Aus Antonow-Frachtflugzeugen russischer Fabrikation seien insgesamt 21 Bomben abgeworfen worden, die „grünliche Farbe und einen scheußlichen Geruch“ hinterlassen hätten, nicht jedoch Einschusskrater, sagte der SPLA-Sprecher Samson Kwanje. „Es wird berichtet, dass einen Tag nach der Bombardierung dieser Städte Kinder, Frauen und Männer begannen, Blut zu spucken.“ Seither seien große Mengen an Tieren verendet, und „fast alle schwangeren Frauen haben Fehlgeburten gehabt oder sind schwer krank“.

Sudans Armeesprecher Mohammed Osman Yassin sagte, die Berichte seien „Lügen“ und „ein aggressiver Akt gegen Sudan“. Aber ein Sprecher der privaten norwegischen Hilfsorganisation NPA (Norwegian People's Aid) bestätigte, dass einer ihrer Mitarbeiter ebenfalls die grünliche Farbe und das Fehlen von Einschusskratern gemeldet habe. Es sei nun ein Arzt unterwegs, um die örtliche Bevölkerung zu untersuchen. Eine Sprecherin des UN-Welternährungsprogramms WFP sagte, man habe über „ irgend so ein Bombardement“ in der Gegend gehört, und es habe auch Verletzte unter dem WFP-Personal gegeben. „Während die Untersuchungen laufen, können wir nicht viel mehr sagen“, fügte sie hinzu. Es ist ungewöhnlich, daß Hilfsorganisationen im Südsudan nach einem einfachen Luftangriff erst Untersuchungen ankündigen, bevor sie Auskunft erteilen.

Die sudanesische Opposition hat schon des Öfteren behauptet, dass die islamistische Militärregierung des Landes Chemiewaffen herstellt oder besitzt. So soll der Irak C-Waffen-Bestände in den Sudan verlegt haben. Nach Oppositionsangaben ist im US-Repräsentantenhaus darüber ein Bericht in Arbeit. Demnach sollen Irak und Sudan 1995 eine Senfgasfabrik in der südsudanesischen Stadt Wau gebaut haben, deren Produkte mehrfach im Krieg Verwendung fanden; in den folgenden Jahren seien Anlagen zur Produktion von Nervengas entstanden, unter anderem unter Einsatz von Materialien, die einst aus Deutschland in den Irak exportiert worden waren.

Vor fast genau einem Jahr hatten die USA Luftangriffe auf eine Fabrik in Sudans Hauptstadt Khartum geflogen, in der sie die Produktion von Chemiewaffenkomponenten vermuteten. Sie haben diesen Vorwurf, der von unabhängiger Seite nicht bestätigt wird, bisher nicht zurückgenommen. Die neuen Vorwürfe über Chemiewaffen erfolgen zu einem Zeitpunkt erhöhter Spekulationen um eine Annäherung der US-Regierung an den Sudan. Erst letzte Woche wurden die 1995 gegen den Sudan verhängten Wirtschaftssanktionen im humanitären Bereich wieder aufgehoben. Das US-Repräsentantenhaus hat allerdings vor kurzem nahezu einstimmig eine Resolution verabschiedet, die den Krieg der sudanesischen Regierung gegen die SPLA als „Völkermord“ bezeichnet.

Im Sudan kämpfen seit mehreren Jahrzehnten mit kurzen Unterbrechungen Rebellen im schwarzafrikanischen Süden gegen die Regierungen im arabischen Norden des Landes. Der derzeitige Krieg dauert seit 1983 und hat bisher über 1,5 Millionen Tote gefordert.