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■ Schein und Selbstständigkeit

Als das umstrittene Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit am 1. Januar dieses Jahres in Kraft trat, hagelte es Proteste. Berufsverbände, Unternehmervertreter, aber auch grüne und konservative Politiker kritisierten die Neuregelung. Ihr Hauptargument: Existenzgründern werde das Leben unnötig schwer gemacht, denn viele Jungunternehmer arbeiteten zunächst nur für einen Auftraggeber. Bundeskanzler Schröder rief eine Expertenkommission ins Leben. Sie hat inzwischen Vorschläge zur Korrektur des neuen Gesetzes ausgearbeiten. Heute legt der Vorsitzende der Expertenrunde, der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts Thomas Dieterich, einen Zwischenbericht vor.

Ziel des Gesetzes war es, Missbrauch zu verhindern und allen Arbeitnehmern Sozialversicherungsschutz zu garantieren. Tatsächlich überredeten in der Vergangenheit immer mehr Unternehmer – das bekannteste Beispiel ist das des Tiefkühlkostherstellers Eismann – ihre Mitarbeiter zu kündigen und die selbe Arbeit als Selbstständige weiterzumachen. So sparen sie die Sozialabgaben. Vor allem für Speditionen, Kurierdienste und Call Center arbeiten inzwischen fast nur noch Freie, die sich durch nichts von Festangestellten unterscheiden.

Auf der anderen Seite könnten viele Branchen, vor allem im High-Tech-Bereich, ohne freie Mitarbeiter nicht überleben. Besonders betroffen ist die Software-Branche, in der es üblich ist, dass EDV-Berater monatelang für einen einzigen Auftraggeber arbeiten. Bei Unternehmensberatern, PR-Spezialisten, Handelsvertretern, Architekten, Taxifahrer, Sanitäter, Krankengymnasten, Finanzbuchhalter und Psychologen, Honorardozenten und Assistenten an den Universitäten sieht es ähnlich aus. Auch an Rundfunkanstalten und bei Zeitungsverlagen arbeiten viele sogenannte „feste Freie“.

Viele Eltern entscheiden sich bewusst für eine freiberufliche Tätigkeit, weil sie sich so die Zeit flexibel einteilen können. Insgesamt, so die Schätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, fallen etwa 170 000 Menschen in die Kategorie „scheinselbstständig“. Die Definition von Scheinselbstständigkeit ist jedoch umstritten.

Einige Firmen weigern sich seit Januar, mit Selbstständigen zusammenzuarbeiten, die keine weiteren Auftraggeber haben. Sie befürchten, sich einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer einzuhandeln. Aus diesem Grund schlägt die Expertenkommission vor, das Gesetz zu entschärfen (siehe Interview und Kritierien-Kasten). Tina Stadlmayer

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