piwik no script img

Befreiungsrellömismus

Dem Kapital die Schnauze polieren: Mit Les Robespierres und Knarf Rellöm versuchen sich zwei Exponenten der Hamburger Pop-Linken an der schwierigen Solidarität im Fall Öcalan  ■ Von Lars Bulnheim

„Gegen das Todesurteil ist ja wohl jeder“, sagt Ted Gaier, Bassist von Les Robespierres und einer der Köpfe hinter den Goldenen Zitronen. „Spätestens seit 1989 sind aber die Positionen enorm ins Wanken gekommen. Aus Ethnifizierung eine Befreiungsperspektive aufzubauen, ist für uns als Internationalisten höchst problematisch. Vom Volk reden wir eigentlich nicht so gern.“

Und auch mit Benefizveranstaltungen ist das so eine Sache. Der Versuch der Hamburger AntiFa, mit Hilfe Hamburger Bands zu einer Gegendemonstration zum Naziaufmarsch am 10. Juli in Bergedorf zu mobilisieren, blieb politisch weitaus folgendlos. Weit über tausend Popfans amüsierten sich umsonst und draußen auf diesem korrekten Volksfest zur Musik von Tocotronic, Blumfeld und Ninos con Bombas, doch vor Ort in Bergedorf selber war dann wohl der Baggersee oder das persönliche Schlafdefizit wichtiger. Zu sehen jedenfalls war kaum jemand aus dem Publikum.

Heute Abend dürfte das konkrete politische Handeln dem Musikfreund einfacher fallen: Es geht um Geld, das an der Tür vom Aufbewahrungsort Portemonnaie in die Solikasse wandern soll. Die nicht aus der kurdischen, sondern aus der linken türkischen Szene kommende „Türkische Initiative zum Erhalt des Lebens von Abdullah Öcalan“ hat sich am 18. Juni durch ein von ihr veranstaltetes Symposium in Unkosten gestürzt, das, mit internationalen Gästen besetzt, den politischen Prozess um den Kurdenführer beleuchtete – und eine Perspektive jenseits der Gretchenfrage nach dem Verhältnis zur PKK suchte. Vökerrechtlich gibt es ein Recht auf Autonomie, und moralisch genauso, angesichts des mit deutschen Waffen geführten Kriegs des türkischen Staats gegen die Kurden. Aber wie Platz schaffen für eine ambivalentere Haltung, damit das Problem der Kurden nicht ausschließlich zu einem PKK- und Öcalan-Problem wird? Denn dazu trägt der Prozeß in der Öffentlichkeit in erster Line bei.

Genauso kompliziert ist das Problem in der der Türkei und im iranischen Grenzgebiet: Einerseits dienen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei immer wieder dazu, ihr die EU-Mitgliedschaft zu verwehren, anderseits stellt in den Augen vieler Geostrategen die Türkei den letzten Puffer westlicher Interessen gegen den islamischen Fundamentalismus dar. Ob diese Fragen erschöpfend in der Roten Flora beantwortet werden können, bleibt fraglich, ganauso, ob ein bisschen alt-linker 70er-Jahre-Befreiungsnationalismus aus pragmatischen Gründen dann doch wieder okay geht.

Zweifellos ein glitschiger Sattel, auf dem die Hamburger Poplinke da reitet. Aber natürlich geht es auch um den Erhalt des Lebens von Abdullah Öcalan, aus humanitären wie politischen Gründen. Seine Hinrichtung wäre symbolisch und moralisch fatal, auch wenn er sich bis zu seinem Prozeß als ausgemachter Nationalist präsentierte.

Für heute Abend hat man sich Musiker eingeladen, deren Integrität jedenfalls außer Frage steht; Knarf Rellömism und Les Robespierres. Knarf Rellöm hat sich seit längerem mit hervorragenden, elektrischen Musikanten verstärkt und nur durch seine falschen Schnurrbärte, in Form von immer neuen Namensgebungen springt er dem Erfolg ständig von der Schippe. Er verkörpert wie kein anderer das gute Gewissen des unabhängigen Musizierens in der Hansestadt. Die zweite Band für den heutigen Abend sind Les Robespierres, eine in den Sixties verwurzelte Band, die zwingende, politische Tanzmusik spielt, ohne auch nur ein bisschen Retro zu klingen. Vermutlich wird es ihr vorerst letztes Konzert sein, die Wege trennen sich. Doktorarbeiten müssen geschrieben werden, und vertragen hat man sich auch nicht immer gut. Ein Jammer, nie hatte man das Gefühl, dem Selbstzweck der Musik aufgesessen zu sein, von wegen bestangezogendste Band der Stadt! Es ist die uneitelste Musik, die überhaupt gespielt werden kann. Les Robespierres wirken wie ein Bindeglied zwischen nennen wir es mal Jazz und allem, was an Rock'n' Roll gut ist. Fast könnte man meinen, Booker T. & the MGs hätten Jello Biafra als Sänger engagiert, um dem Kapital die Schnauze zu polieren.

heute, Rote Flora, 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen