: Fährmann und Fallada
taz-Serie „Der See ruft“ (Teil 1): In Feldberg kommen Literatur- und Fährenfans gleichermaßen auf ihre Kosten ■ Von Ralph Bollmann
In Neustrelitz, zwischen den zwei Bahnhöfen, beginnt der Urlaub. Auf den Hauptbahnhof tragen die Züge aus Berlin noch einen Rest großstädtischer Hektik. Doch die Besucher müssen nur durch einen Tunnel gehen und eine Straße überqueren, schon stehen sie in der tiefsten Provinz. Auf dem Südbahnhof hat sich im vergangenen Jahrzehnt nichts verändert, nur ein paar Schilder wurden ausgetauscht. Alle zwei Stunden fährt ein Zug nach Feldberg, für die 27 Kilometer lange Strecke braucht er fast eine Stunde – unterwegs nichts als Felder, Wälder, Seen.
Schon der Schriftsteller Hans Fallada flüchtete hier 1933 vor der großen Stadt, vor der großen Politik – und, vor allem, vor sich selbst und dem überraschenden Erfolg seines Romans „Kleiner Mann, was nun“. Fallada konnte mit dem Geldsegen nicht umgehen, begann wieder zu trinken – und beschloss schließlich, „vor diesem wahren Goldrausch aufs Land zu fliehen“. Der Rowohlt-Mitarbeiter Peter Zingler besorgte ihm ein Haus im Fischerdörfchen Carwitz zwischen den Feldberger Seen.
Der kürzeste Weg zu Fallada führt übers Wasser. Vom Feldberger Bahnhof geht es über den „Luzinweg“ wenige hundert Meter bis an den Rand des Abgrunds, dann 105 Stufen bergab. In einem tiefen, bewaldeten Einschnitt versteckt sich der Schmale Luzin, sieben Kilometer lang, bis zu 30 Meter tief. Seit 1907 verbindet eine Fähre die beiden Seiten des Sees, ungefähr seit jener Zeit steht auch die „Luzinhalle“, ein altes Bootshaus.
Vor 22 Jahren beschloss der gelernte Stahlschiffbauer Michael Karzikowski, die Fähre wieder in Betrieb zu nehmen. Auch für ihn war es, wie für Fallada, eine Art Exil. Zu DDR-Zeiten stand er, wie er sagt, „ein bisschen außerhalb der Gesellschaft“ – und erinnerte sich auf der Suche nach einem Beruf fernab von Partei und Gewerkschaft der alten Fährverbindung in Feldberg, wo er als Sohn eines Arztes aufgewachsen war.
Er tauschte den Job im Magdeburger Schwermaschinenkombinat gegen die Gewerbeerlaubnis für den Fährbetrieb, Bootsvermietung eingeschlossen.
Auf der anderen Seite geht der Weg wieder steil bergan auf eine unbewaldete Hochfläche, den Hollerbusch. Holunder gibt es hier tatsächlich in Fülle, und nach einer halben Stunde Fußweg ist Carwitz erreicht. Doch Vorsicht! Mittags zwischen zwölf und zwei ist das Fallada-Haus geschlossen. „Wie zu DDR-Zeiten“, pflegen da erzürnte Besucher zu sagen. In solchen Fällen blafft der Aufseher zurück: „Dann müssense halt schneller frühstücken!“
Meist lassen sich auch die Hartgesottenen von der Idylle wieder besänftigen, von der Gartenbank unter dem Obstbaum mit Blick auf den See, von der schlicht eingerichteten Küche und natürlich vom Allerheiligsten, dem Arbeitstisch mit Schreibmaschine und Kaffeekanne. Ganz so harmonisch, wie das Ambiente glauben macht, waren Falladas Carwitzer Jahre allerdings nicht. Nicht allein wegen Falladas vorsichtiger Anbiederung an die Nationalsozialisten und deren schroffer Zurückweisung seiner Werke. Angeklagt wegen versuchten Mordes an seiner geschiedenen Frau, wurde er 1944 in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Dort schrieb er den Roman „Der Trinker“ – stark autobiographisch gefärbt. Nach Kriegsende amtierte er vier Monate lang als Bürgermeister von Feldberg, den Rest seines Lebens bis zu seinem Tod 1947 verbrachte er überwiegend in Berliner Kliniken.
Heute verläuft der Rückweg nach Berlin weniger dramatisch. Am Schmalen Luzin genügt ein Wink zum jenseitigen Ufer und die Fähre setzt sich in Bewegung. An einem Drahtseil ist das kleine Boot befestigt, das höchstens zehn Passagiere fasst. Mit einer Kurbel setzt Fährmann Karzikowski das Fahrzeug in Bewegung – eine Konstruktion, die einst ein befreundeter Ingenieur aus dem Bergbau für ihn entwarf. Die Treppe wieder hoch zum Bahnhof, eine knappe Stunde Fahrt nach Neustrelitz. Dann in den Zug nach Berlin. Die Großstadt hat uns wieder.
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