: Australiens Drahtseilakt in der Ost-Timor-Politik
■ Die Regierung in Canberra vollzieht mit ihrem Engagement in Ost-Timor eine vorsichtige Kehrtwendung ihrer bisherigen Politik und bereitet sich zugleich auf das Schlimmste vor
Sydney (taz) – Stärker als jedes andere westlich orientierte Land ist Australien an einem friedlichen, stabilen und demokratischen Ost-Timor interessiert. Denn die von Indonesien gewaltsam annektierte Inselhälfte liegt direkt vor der Nordküste des fünften Kontinents – zwischen 18 Millionen Australiern und ihren rund 210 Millionen indonesischen Nachbarn. Gleichzeitig möchte es sich die Regierung in Canberra aber auch nicht mit der Regierung in Jakarta verderben.
Seit die UNO das Referendum über Autonomie oder Unabhängigkeit Ost-Timors vorbereitet, herrscht zwischen Jakarta und Canberra reger diplomatischer Pendelverkehr: Australiens Premier, der Außen- und Verteidigungsmininster sowie zahlreiche andere Offizielle sind bisher zu „freundschaftlichen Gesprächen“ nach Indonesien gereist.
Zugleich stellte Canberra über 20 Millionen Dollar für das Referendum in Ost-Timor bereit – mehr als jedes andere UN-Mitglied. Australien organisiert die Wahlurnen und -papiere, australische Geländewagen und Hubschrauber transportieren die knapp 900 UN-Beobachter. Eine Militärmaschine bringt täglich Nachschub aus dem nordaustralischen Darwin, wo auch UN-Wahlhelfer ausgebildet werden.
Australiens Regierung versucht auch Druck auf Jakarta auszuüben. In den letzten Wochen ist Canberra über fünzigmal bei der indonesischen Regierung wegen der Aktivitäten proindonesischer Milizen in Ost-Timor vorstellig geworden. Die zunehmend schärfer formulierten Beschwerden über die gewaltsamen Einschüchterungsversuche der Milizen und ihre Unterstützer im indonesischen Militär erregen in Jakarta Unmut.
Bisher hatte Indonesien in Ost-Timor stets fest mit der Unterstützung Australiens rechnen können. Als indonesische Soldaten 1975 in der früheren portugiesischen Kolonie einmarschierten, drang aus Canberra keine Silbe des Protests. Australien hatte kein Interesse an einem möglichen „neuen Kuba“ vor der eigenen Haustür.
Als einziges westlich orientiertes Land akzeptierte Australien sogar später offiziell die Annexion Ost-Timors als 27. indonesische Provinz. Australien baute starke wirtschaftliche, politische und strategische Beziehungen zum riesigen Nachbarn und zum Suharto-Regime auf. An diese Politik hielten sich in den vergangenen 23 Jahren alle australische Regierungen – konservative wie sozialdemokratische. In einem Abkommen teilten sich Australien und Indonesien die Öl- und Gasvorkommen in der Timorsee untereinander auf. Menscherechtsverletzungen, die indonesische Truppen in Ost-Timor begangen, wurden geflissentlich übersehen. Allerdings nahm Australien über 20.000 osttimoresische Flüchtlinge auf.
Viele Australier wollten diese „pragmatische Realpolitik“ ihrer Regierungen nicht mittragen. Journalisten, Menschenrechtsgruppen und Kirchenvertreter berichteten über Militärterror und Massaker in Ost-Timor. Drei australische Journalisten starben im Kugelhagel indonesischer Truppen. Auch dazu äußerten verschiedene australischen Regierungen bisher nur Beruhigungsformeln.
Inzwischen sind die Gespräche zwischen Canberra und Jakarta direkter geworden. Die australische Regierung sieht im Referendum jetzt eine „einmalige Gelegenheit“ für eine friedliche Lösung des Konflikts in Ost-Timor. Alexander Downer besuchte am vergangenen Wochenende als erster australischer Außenminister Ost-Timor und sprach mit Vertretern der Unabhängigkeitsbewegung und von proindonesischen Milizen. Er forderte beide Seiten auf, die Entscheidung der Bevölkerung über die Zukunft Ost-Timors zu respektieren, und deutete an, dass Australien bereit sei, sich an einer UNO-Friedenstruppe zu beteiligen. Australische Friedenshüter sollten jedoch nicht gleich in der „gefährlichen Phase“ direkt nach einer möglichen Entscheidung für die Unabhängigkeit Ost-Timors eingesetzt werden, sondern erst nach Ratifizierung dieser Entscheidung durch das indonesische Parlament im November.
Jakarta besteht darauf, dass indonesische Sicherheitskräfte bis dahin für die Ordnung in Ost-Timor verantwortlich sind. Downer zeigte dafür „Verständnis“, doch gleichzeitig versetzte Australien Elitetruppen im Norden des Landes in Bereitschaft. Kriegsschiffe halten dort auch „Übungen“ ab. Sie könnten im Falle eines Blutbads nach dem Referendum am 30. August zur Evakuierung von UNO-Beobachtern eingesetzt werden. Esther Blank
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