: Sammelsurien für die Sucher
■ Eher zum Stöbern als zum Kaufen: Die neue thematische Buchhandlung „pro qm“ in Mitte
Dass eine Buchhandlung in Berlin eröffnet, sollte nicht ungewöhnlich sein. Wenn diese Buchhandlung allerdings direkt auf das öffentliche Bewusstsein einzuwirken versucht, drängt sich die Frage auf, ob dort denn mehr als nur Handel betrieben wird. Die Buchhandlung heißt in diesem Fall „pro qm“ und ist an der Alten Schönhauser Straße zu finden. Ihre Eröffnung feierte man – auch das ist im Buchhandel nicht üblich – mit einer Party in einem House-Club. Da liegt der Verdacht nahe, dass sich hier etwas als Projekt geriert, um dem unangenehmen Teil der „Neuen Mitte“ zu imponieren, und letztlich doch nur den Verkauf im Auge hat.
Wenn man den Laden aufsucht, zerstreut sich dieser Verdacht allerdings schnell, denn es fällt einem als erstes das Sammelsurium im Schaufenster auf. Romane sind dort neben Medienkritik zu finden, soziologisch motivierte Architekturkritik liegt dort neben einem Hauptstadt-Jubelbuch. Nach einer Auslage, die sich an der Verlagswerbung orientiert oder mit besonderen Eröffnungssonderangeboten lockt, sucht man vergeblich. Betritt man dann den Laden, gerät man in eine merkwürdige Atmosphäre. Einerseits befindet man sich in einer in weiten Teilen erhaltenen, denkmalgeschützten Fleischereieinrichtung, andererseits wird die von den in kräftigem Blau und Grün gehaltenen Fliesen evozierte historizistische Heimeligkeit gebrochen durch die Buchregale, die verhalten rot und hellrot leuchten. Hinter den Regalen wiederum sind exotische Pflanzen aufgereiht, die jedem Ökobuchladen zur Ehre gereichen würden.
Die Irritation setzt sich beim Betrachten der Ware fort: Kaum etwas ist hier nach Genres geordnet, ein Gesellschaftsroman liegt neben einem Popbuch, das wiederum an einen Fotoband über Marzahn stößt. Dieses scheinbare Sammelsurium erklärt sich aus der Absicht der Buchhändler, mit pro qm eine „thematische Buchhandlung“ betreiben zu wollen. Die drei Besitzer des Geschäftes, Jesko Fezer, Katja Reichard und Axel Wieder, sind mit Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst, Kulturkritik und Soziologie bekannt geworden, insbesondere ihre 98er Veranstaltungsreihe „Baustop. Randstadt“ machte bundesweit von sich reden. Das Hauptanliegen der Betreiber ist die Stadtentwicklung, den Buchladen verstehen sie dabei durchaus als Fortsetzung ihrer Projekte. Und sich selbst betrachten sie als die idealen Kunden. Jesko Fezer berichtet, dass der Satz „Wenn es keiner kauft, dann kaufe ich es eben“ zur Zeit der meistgehörte bei den Buchbestellungen sei. Wenn man sich im Laden umsieht, glaubt man das gern. Hier sind Sammler am Werk.
Das „Thematische“ des Buchladens ergibt sich folgendermaßen: Zunächst wird ein Monatsthema festgelegt (im Juli war das Thema das Baustellenspektakel „Berlin – offene Stadt“, zur Zeit ist es „Grundeigentum“), dann wird danach bestellt, und zwar kritische und unkritische Werke, die dann mit passenden Büchern aus anderen Genres flankiert werden. Der Bildband soll im besten Fall durch den Roman ergänzt werden und umgekehrt. Parallel wird zukünftig dazu unter www.pro-qm.de eine Internetzeitung erscheinen. Im nächsten Monat werden die zu einem Thema bestellten Bücher jedoch nicht auseinander gerissen, sondern zusammen in die Regale gestellt. Daher rührt das vermeintliche Durcheinander. Für Leute, die einen bestimmten Titel suchen, ist das wenig bequem, und alle, die mal schnell einen Roman kaufen wollen, werden sich schlecht bedient fühlen. Für die jedoch, die gern stöbern, ist dieses Anordnungsprinzip perfekt.
Damit der Laden nicht irgendwann zu einem reinen Konsumort wird, hat man den hinteren zweiten Verkaufsraum so gestaltet, dass er auch als Vortragsraum genutzt werden kann. Anders jedoch als etwa die Kollegen von b-books denkt man bei pro qm nicht daran; einen wöchentlichen Jour fixe einzurichten. Der Raum wird genutzt, wie es sich ergibt. Der „öffentliche Raum“, den man mit der Buchhandlung eingerichtet haben will, besteht also in der Hauptsache aus der Repräsentationsfläche für das hier zu erwerbende Buch.
Allerdings muss man hier sehen, dass die Absicht, mit Schaufenster und Monatsthema das Bewusstsein seiner Kunden zu beeinflussen oder gar einen Ort des „guten Warenflusses“ zu schaffen, bereits am Durchschnittslohn scheitert, denn kaum jemand hat das Geld, sich zum Standardwerk noch den „interdisziplinären Versuch“ zum Thema zuzulegen. Dass das pro qm letztendlich zu einer ganz normalen Buchhandlung werden lässt, darüber macht man sich bei pro qm keine falschen Vorstellungen. Der Laden wird von seinen Besitzern nicht als Kunstobjekt begriffen. Er ist zunächst ein Geschäft. Mehr als eine umfassende Auswahl von Titeln bereithalten, die zu einem bestimmten Thema vorliegen, kann dieser Buchladen nicht. Das ist ja schon was. Jörg Sundermeier
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