: Bunte Bücherordnung
■ Bananenschalenrauchen und anderer Kulturverfall: Was man von Ulrich Plenzdorfs leidendem jungen W. über die DDR lernen kann
Es ist Sommer und ich denke an die DDR. In einem der sogenannten DDR-Kultbücher, den „Neuen Leiden des jungen W.“ von Ulrich Plenzdorf, einem schmalen, im Westen blauen Bändchen, mit dem auch Schüler des Westens in den siebziger Jahren gequält wurden, geht es um die komplizierte Liebe eines jungen Nichtstuers in „Bluejeans“ zu einer jungen Krankenschwester (wenn ich mich richtig erinnere), die allerdings, wie das Vorbild es will, schon vergeben ist. Ihr Mann ist ein junger NVSA-Leutnant, wenn ich mich richtig erinnere.
Der Held des Romans wohnt in einer Gartenlaube, sitzt häufig, ein zerzaustes Buch lesend, auf dem Klo herum und macht sich dort Gedanken übers Leben, was dem Roman seinerzeit in der DDR den Vorwurf einbrachte, bloß dekadente Fäkalienliteratur zu sein, und im Westen den größten Erfolg des Hippieverlags „grüner Zweig“ vorbereitete, der mit seinem „Scheiß-Buch“ Mitte der achtziger Jahre die Charts stürmte. Wie auch immer.
Einmal besucht Edgar Wibeau, der junge Nichtstuerheld des Romans, auch die Wohnung seiner Angebeteten und erregt sich darüber, dass der smarte NVA-Leutnant seine Bücher nach Farben und Größe sortiert hat und nicht ordnungsgemäß nach dem Alphabet.
Was damit gemeint war, war klar: Wer seine Bücher nach Größe und Farben ordnet, ist so ein Spießer mit mehr Schein als Sein, der liest in echt gar keine Bücher, der könnte auch Attrappen da stehen haben usw. Daran musste ich neulich beim Bücherregalordnen denken, denn als Westler finde ich es eigentlich sehr schön und fantasievoll, wenn man seine Bücher nach Größe und Farben ordnet. Da passen dann mehr ins Bücherregal rein, das sieht auch ganz gut aus und es ergeben sich teilweise überraschende Zusammenhänge.
Was ich damit sagen wollte: Die DDR krankte u. a. an ihrer Sehnsucht nach einer „kulturvollen“ Alphabetisierung (Nationalkultur), die bis heute fortwirkt. Neulich etwa glossierte eine Kollegin aus der Berliner Zeitung den Gebrauch ihr durchgedreht erscheinender Amerikanismen wie „Boom“, „Fake“ und „Hype“ und geißelte anlässlich einer Veranstaltung in Sachen neuer Berlin-Literatur die verflachenden Popeinflüsse im zeitgenössischen Berliner Schreiben, die im Westen spätestens seit den 60er Jahren gang und gäbe sind und vor ca. 25 Jahren auch dem Roman von Ulrich Plenzdorf – wegen Bluejeanspropaganda – unterstellt wurden.
Derlei Ungleichzeitigkeiten sind natürlich lehrreich und machen das Leben in Berlin interessant. Im Westen führte der Roman „Die neuen Leiden des jungen W.“ übrigens dazu, dass haufenweise Teenager begannen, getrocknete Bananenschalen zu rauchen und wenig später im Bahnhofzooklo mit einer Nadel im Arm elend verendeten. (Dies war übrigens ein Indoor-Text.) Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen