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Mehr Spione in der Wirtschaft als im Militär

Zwei russische Spione im deutschen Rüstungskonzern Dasa sorgen für Ärger. Verfassungsschützer freuen sich über die neue Arbeit durch die Angst vor Firmenspähern  ■   Aus Stuttgart Klaus-Peter Klingelschmitt

Den „größten Spionageabwehrerfolg seit der Wende“ nannte Rolf-Peter Minnier gestern die jüngste Verhaftung von zwei Rüstungsspionen für die Russen. Minnier ist Chef des Landesamtes für Verfassungschutz in Hannover und müsste daher einigermaßen wissen, wovon er redet. In Hannover war Ende Juli ein 39-Jähriger auf dem Weg nach Russland festgenommen worden. Er und ein 52 Jahre alter Ingenieur der Daimler-Dasa-Tochterfirma Lenkflugkörper-Systeme GmbH sollen seit Jahren Geheimes über Panzerabwehrwaffen an die Russen geliefert haben, so die Bundesanwaltschaft am Sonntag.

Wie viele und welche Daten an den russischen Geheimdienst übermittelt wurden, wird gerade untersucht. Der 39-Jährige aus dem Heideort Soltau sei einer der Topspione gewesen und hat laut seinen Reiseunterlagen angeblich pro Besuch in Moskau 100.000 Dollar kassiert.

Nicht nur Rüstungsfirmen, sondern die heimische Wirtschaft allgemein sei das heimliche Ziel (fast) aller Aktivitäten fremder Geheimdienste auf deutschem Boden, das behauptete auch der Präsident des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Rannacher, auf einer Tagung Ende Juli in Stuttgart.

Allerdings konnte der Verfassungsschützer nur einen spektakulären Fall benennen: 1997 wurde ebenfalls ein Mitarbeiter des Luft- und Rüstungskonzerns Dasa in Stade als „Agent“ des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR enttarnt und festgenommen. Er soll „im Zusammenwirken“ mit einem ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatsicherheit der DDR zuerst dem KGB und dann dem SWR „wertvolle Informationen aus der Luft- und Raumfahrt“ geliefert haben. Das OLG in Celle verurteilte die beiden „Agenten“ im Januar 1999 zu Freiheitstrafen von knapp zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.

Um die Russen also kümmert sich der Verfassungsschutz – und speziell auch um die Chinesen. Die hätten über „im Bundesgebiet tätige chinesische Dienstleister“ ganz hervorragende Zugänge zu sensiblen Informationen. Und durch die Vernetzung nachrichtendienstlicher und organisiert-krimineller Aktivitäten würde von den Chinesen eine „neue Dimension wirtschaftlich-wissenschaftlicher Ausforschung“ erreicht, warnt der Leiter der Abteilung Spionageabwehr und Sabotageschutz des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Harald Woll.

Beweise dafür kann Woll nicht vorlegen. Überhaupt wurden in den letzten acht Jahren nur sieben Fälle von „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ ermittelt, musste der Innenminister von Baden-Württemberg und oberste Dienstherr der Verfassungsschützer im Ländle, Thomas Schäuble, Ende Juli auf einem Stuttgarter Symposium der Landesregierung und der Industrie- und Handelskammer zur Wirtschaftsspionage zugeben.

Was ist also dran an der Wirtschaftsspionage? Der „relativ niedrigen Zahl“ stehe die „allgemeine Lageeinschätzung der Sicherheitsbehörden, aber auch von Sicherheitsexperten aus der Wirtschaft“ entgegen, wehrte der Innenminister Kritik ab. Das wieder vereinigte Deutschland sei wegen seiner Lage und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft das „bevorzugte Operationsgebiet fremder Nachrichtendienste“, so Schäuble.

Nur für deren Abwehr sei der Verfassungsschutz zuständig, erklärte Schäuble auf dem Stuttgarter Symposium, zu dem Vertreter von rund 200 Unternehmen aus dem Ländle gekommen waren. Vor allem der „innovative Mittelstand“ im Land der Tüftler und Bastler müsse deshalb mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten.

Doch wer fängt die „privaten“ Spione, die heute teilweise aus den klimatisierten Vorstandsetagen multinationaler Konzerne gesandt werden? „Konkurrenzspione“ werden diese Dunkelmänner von den Verfassungsschützern genannt. Sie sind tabu für die deutschen Geheimagenten. Aber sie sind die für die heimische Wirtschaft eigentlich gefährlicheren Agenten. Das glaubt jedenfalls Werner Britsch, Leiter der „Unternehmenssicherheit Konzern“ bei DaimlerChrysler: „Die Internationalisierung und Globalisierung der Unternehmen und Märkte führt zwangsläufig zu weiteren Risiken im Informationsschutz.“

Neben den professionellen Spionagebekämpfern der Industrie warnt auch die Handelskammer: Im „zweistelligen Milliardenbereich“ müsse der Schaden angesiedelt werden, der jährlich durch Konkurrenzspionage entstehe, klagt IHK-Geschäftsführer Andreas Richter.

Ein Beispiel? „Die López-Affäre bei Opel“, sagt Verfassungsschützer Woll. Und deren Aufdekkung sei ohne das von den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Großbritannien betriebene Abhörsystem Echelon, einen sogenannten Datenstaubsauger, nicht möglich gewesen. Echelon fange für seine Betreiber weltweit stündlich Millionen von Botschaften ab, glaubt Woll zu wissen. Und was fangen die Betreiber damit an? „Insgesamt muss man davon ausgehen, dass Echelo mittlerweile ganz gezielt auch zur Überwachung der multimedialen Kommunikation westeuropäischer Unternehmen eingesetzt wird“, meint Woll.

Da ist dann so manch ein braver Mittelständler aus dem Schwabenland entsetzt; andere geben sich amüsiert: „Agentenlatein.“ Der Bundesregierung jedenfalls liegen keine Erkentnisse darüber vor, dass die USA die deutsche Wirtschaft via Echelon ausspionierten.

Aber was tatsächlich tun gegen Konkurrenzspionage? Britsch von DaimlerChrysler gibt eine Empfehlung: „Ziel muss es sein, nur für das Unternehmen Substanzielles, womöglich sogar nur Existenzielles, also im Umfang möglichst wenig, das wenige aber möglichst effektiv zu schützen.“ Dafür müssten die (engsten) Mitarbeiter sensibilisiert und Sicherheitsspezialisten im Unternehmen „installiert“ werden; Sicherheitsspezialisten wie Britsch.

Und die Gesetze müssten nach US-Vorbild rasch geändert werden: „Mit dem Economic Espionage Act von 1996 haben die Vereinigten Staaten ein spezielles Gesetz gegen Wirtschaftsspionage mit für unsere Vorstellungen drastischen Strafandrohungen geschaffen“ (Britsch).

Staat und Wirtschaft seien auch aufgefordert, ein „Forum für die Sicherheit der Wirtschaft“ zu schaffen, dessen Zielsetzung es sein müsse, „ein auf Dauer angelegtes stärkeres Miteinander von Staat und Wirtschaft bei der Spionagebekämpfung zu gewährleisten“.

Bei solchen Worten grinsen Verfassungsschützer breit. Wieder ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für sie: Managerschulung Innere (Unternehmens-)Sicherheit. Da ist viel zu tun. Bei ISDN-Leitungen zum Beispiel lache das Herz jedes fremden Agenten, sagt Verfassungsschützer Woll. Da sei die Software leicht zu manipulieren, weshalb ISDN in Geheimdienstkreisen die Abkürzung für „Im Sinne der Nachrichtendienste“ sei. Seine Empfehlung: Zurück zum alten, analogen Telefon.

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