: In den Schuldenturm verdammt
■ Insolvenzrecht behindert Entschuldung der wirklich Armen
Für verschuldete Sozialhilfe-Empfänger, die sich über ein gerichtliches Insolvenzverfahren entschulden wollen, gibt es keine Prozesskostenhilfe. Das beklagten jetzt Bremer Schuldnerberater (wir berichteten). Das Bremer Amtsgericht lehnte gerade einen solchen Antrag ab. Wir sprachen darüber mit Amtsrichter Heinrich Schnitger.
taz: Privatleute können sich jetzt entschulden. Aber gerade Hochverschuldeten wird die dafür nötige Prozesskostenhilfe verwehrt. Das ist doch ein Widerspruch in sich.
Heinrich Schnitger: Es wird nicht dem am höchsten Verschuldeten verwehrt, sondern jenen, die nicht in der Lage sind, die anfallenden Kosten des Verfahrens zu tragen. Im Gesetz steht eindeutig, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abzuweisen ist, wenn die Kosten nicht aus dem Vermögen und Einkommen des Schuldners zu decken sind und auch sonst keiner einen entsprechenden Vorschuss leistet. Das Hauptproblem ist eher, dass das Gesetz in der Öffentlichkeit falsch verkauft wurde.
Aber bislang gibt es dazu doch unterschiedliche Rechtsauffassungen auf Grundlage zweier Gesetze: Zum einen ist der Antrag laut Insolvenzgesetz abzulehnen. Gleichzeitig sieht die Zivilprozessordnung aber Prozeßkostenhilfe für aussichtsreiche Prozesse vor – nur entscheidet das jedes Gericht anders.
In der Tat herrscht in der Rechtssprechung und Literatur eine Meinungsvielfalt mit eindeutiger Tendenz der Rechtsprechung, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Eröffnung des Verfahrens abzulehnen. Auch das Bremer Amtsgericht hat einen entsprechenden Antrag abgelehnt ...
... weil man meint, der Gesetzgeber hat es so gewollt?
Weil das Gesetz so ist und die Anwendung des Gesetzes zu dieser Entscheidung geführt hat. Im Gesetzgebungsverfahren wurde das Problem bereits gesehen und der Gesetzgeber hat sich nicht entschlossen, dies so zu regeln, dass er die anfallenden Kosten über eine „Insolvenzhilfe“ abgedeckt hat. Er hat sich da auf gut deutsch eher rausgehalten und es nicht in diesem Sinne geregelt.
Warum nicht?
Es würden hohe Kosten auf die Justizhaushalte zukommen. Es stellt sich auch die Frage, ob ein solch aufwendiges Verfahren für jemand, der auf lange Sicht unpfändbar ist, geeignet und erforderlich ist. Die Gläubiger können von diesem Schuldner nichts holen, denn er ist durch die Schuldnerschutzvorschriften geschützt. Er könnte sich auch sagen: Ich bin unpfändbar, mir können meine Schulden egal sein.
Die Schuldenberater wollen aber lieber entschulden und bieten den Gläubigern derzeit mit einem Nullplan nach fünf Jahren Gegenleistungen. Trotzdem wollen Sie so etwas nicht unterstützen?
Ich befürworte es grundsätzlich, dass der Gesetzgeber jetzt erstmals in Deutschland die Möglichkeit geschaffen hat, dass hoffnungslos verschuldete Schuldner die Möglichkeit erhalten, von ihren Schulden frei zu werden.
Aber Sie schlagen andere Verfahren vor?
Es ist zumindest in den meisten Fällen ein ziemlich aussichtsloses und auch sinnloses Verfahren, alle Gläubiger anzuschreiben und zu fragen: Seid Ihr damit einverstanden, dass Ihr auf lange Sicht nichts bekommt – und sie dann in einem aufwendigen Verfahren mit großem Verwaltungsaufwand nochmals gerichtlich anschreiben und die gleiche Frage zu stellen. Aussichtslos ist dies deshalb, weil die Gläubiger – auch nicht die Mehrheit – diesem Vorschlag kaum folgen werden. Wenn der Gesetzgeber möchte, dass Schuldner, die weder irgendwelche Zahlungen an ihre Gläubiger leisten noch Verfahrenskosten zahlen können, entschuldet werden, so könnte man ein einfacheres Verfahren entwickeln und das Verfahren z.B. erst eröffnen, wenn Einkommen da ist.
Fragen: Katja Ubben
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