Finsternis-Day mit Schattenseiten

■  Die Berliner verfolgten die Sonnenfinsternis größtenteils unbeeindruckt. Regenwolken verdeckten in den entscheidenden Minuten die Sicht. Viele schauten ohne Spezialbrille

Immer wieder stürzte Niko Kuhl, Koch des Restaurantes auf der Reichstagsterasse, ins Freie: „Jau! Das ist neue Energie für mich!“ Das Schwergewicht strahlte wie seine weisse Kochmütze als er durch eine dünne Silberfolie gen Himmel blickt. „Das ganze Leben wird sich ändern“, rief er den verdutzten Leuten auf der Terasse zu.

Trotz der einmaligen Aussicht zieht es kaum mehr Menschen als sonst auf das Dach des Reichstages. Xenia Busse (29) will die Finsternis jedoch unbedingt von hier oben erleben. „Irgendwie ist er für die Finsternis der richtige Ort.“

Doch viele waren von dem Jahrhunderereignis unbeeindruckt. Nur die Anfangsphase der Sonnenfinsternis war gut zu sehen, doch im entscheidenden Moment, um 12.41, als 86 Prozent der Sonne vom Mond verdeckt waren, verdeckten dichte Regenwolken die Sicht. In der ganzen Hauptstadt machten die Berliner den gestrigen Tag zu ihrem persönlichen Finsternis-Day - oder auch nicht.

An der Weltzeituhr sollte es die letzten Spezialbrillen geben. Hunderte Menschen standen herum und hielten unauffällig Ausschau nach einem Boten vom Berliner Kurier. Der sollte punkt zehn Uhr auftauchen und 100 Spezialbrillen verteilen. Um kurz nach zehn kam sie und die Meute stürzte sich auf sie und die Brillen. Die ganze Aktion dauerte keine Minute.

In der Archenhold-Sternwarte im Treptower Park liess sich keiner der tausend Besucher vom bewölkten Himmel die Stimmung verderben. In völlig überfüllten Sälen liessen sie sich mit Informationen zur Sonnenfinsternis füttern. Kurz nach elf Uhr strömten die Massen an die frische Luft, um das gerade Gelernte mit der Realität zu vergleichen. Drinnen, im sonnenphysikalischen Kabinett wurde die Sonne über zwei Spiegel auf eine Leinwand projeziert. Als sich der Mond um 11.21 Uhr erstmals vor die Sonne schob, war jedoch wegen der Wolken nur eine schwarze Wand zu sehen.

Die beste Rundumsicht bot der Teufelsberg im Grunewald. Ausgerüstet mit Decken und Picknickkörben erlebten über tausend ausgelassene Schaulustige den Beginn des Spektakels. Kaum einer trug dabei die empfohlenen Schutzbrillen. Die meisten behalfen sich mit verrussten Glasscheiben, Fotofilm oder Alufolie.

Auch die Liegewiesen auf dem Kreuzberg waren voll mit Schaulustigen. Richtig dichtgedrängt stehen die Menschen am Denkmal. Einige harrten schon seitdem frühen Morgen aus. Jemand äußerte sich hämisch über seinen Kumpel, der extra nach Stuttgart gefahren ist - dort regnet es.

In der U-Bahn ist immer Sonnenfinsternis. Ein perfekter Ort für Sofi-Muffel - und davon gibt es hier genug. Viele haben einfach keine Sofi-Brille mehr bekommen. Da macht das Gucken keine Freude. „Und so doll isses nun auch wieder nich“, meinte ein Fahrgast. Das könne man sich dann besser im Fernsehen anschauen. Genauso unbeeindruckt vom Himmelsereignis schlenderte ein Renterehepaar in einem Kaufhaus am Alexanderplatz von Auslage zu Auslage. „Ich berate lieber meine Frau bei der Auswahl eines neuen Kleides“, sagte der Mann.

„Ist es leiser geworden?“, fragte eine Zoo-Besucherin in den besten Jahrenam Sumpfvogelpanorama. „Ich habe gelesen, die Vögel hören bei einer Sonnenfinsternis auf zu zwitschern.“ Doch die Vögel lassen sich nicht beirren. Nur drei Kaisergänse aus Alaska schienen zu schlafen und hatten ihre Köpfe unter die Federn gesteckt. „Das ist es, was ich gemeint habe“, flüsterte ein alter Mann seinem Enkel zu. Doch dann guckte eine der Gänse wieder hoch. „Die schlafen ja gar nicht“, sagte der Enkel empört. Im Zoo war alles wie immer.

An der Siegessäule blieb das erwartete Sofi-Verkehrschaos aus. Hunderte von Sofi-Anbetern sassen auf den Stufen der Goldelse. Doch auch hier war die Freude über den astronomischen Höhepunkt verhalten. „Oh Mann“, meinte einer nur und schüttelte den Kopf, als ein TV-Team einem einsamen Trompetenspieler auf die Pelle rückte. taz