: King of Rotz-Witz
■ „Ich bin eine C 20-Kassette. Schieben Sie mich bitte vielleicht eventuell in Ihren Recorder?“ Ca. 213 Witze von Tex Rubinowitz
„Tex friert nie“, wunderte sich Max Goldt in der Titanic einmal über Tex Rubinowitz. Diesem Satz folgte eine ebenso ausführliche wie „aufrichtige Liebeserklärung“. Wenn er das neueste Rubinowitz-Buch gelesen hat, wird Max Tex vermutlich noch mehr mögen. Zum Beispiel für die liebenswerte Zeichnung, auf der eine C 20-Kassette, die gar nicht aussieht wie eine C 20-Kassette, einen Pullover trägt mit der Aufschrift: „Ich bin eine C 20-Kassette. Schieben Sie mich bitte vielleicht eventuell in Ihren Recorder?“ Wer kennt sie nicht, diese Tage, an denen man sich fühlt wie eine C 20-Kassette. Oder wie der Barsch, den der Zeichner denken lässt: „Jeder ist der Architekt seines eigenen Glücks, außer mir – ich bin nur ein gewöhnlicher Barsch.“
Das neue Buch von Tex Rubinowitz heißt „Und für Leute, die überhaupt nicht lesen können, ist die Zigarette durchgestrichen.“ Laut Untertitel enthält es „ca. 213 Witze“ auf 160 Seiten, deren Hintergrund so schön klein kariert ist wie in Matheheften. Auch die Zeichnungen sehen aus wie während des Unterrichts hingekritzelt: unambitioniert, nichts schraffiert, fast nichts ausgemalt, keine Hintergründe, die Denk- und Sprechblasen mit ungelenker Hand vollgeschrieben. „Tex hat Talent, Frau Rubinowitz“, würde die Kunstlehrerin am Elternsprechtag sagen, „aber er sollte sich mehr Mühe geben.“
Sollte er nicht. Denn in einer Welt, die von Werbegrafikern gestaltet ist, erfüllen seine Zeichnungen die Sehnsucht nach Nichtdurchgestyltem und Unprofessionellem. Zumal die demonstrative Mühelosigkeit des Künstlers nichts zu tun hat mit Lieblosigkeit. Mit geringem Aufwand erreicht Rubinowitz ein hohes Maß an Geist und Seele, schafft er rührende Abschiedsszenen und groovige Liebeserklärungen, zum Beispiel die von Hund Lumpi an seinen Napf: „Shine on you crazy Napf.“
Wie um dem Hingerotzten der Ausführung auch inhaltlich zu entsprechen, führt der Zeichner das noch kaum entwickelte Genre des Rotz-Witzes zu einer bislang nicht für möglich gehaltenen Blüte. Auf „ca. 213 Witze“ kommen mindestens 11 triefende Nasen (und mehrere tropfende Kerzen). Will man zu einem „Adolf Hitler Lookalike Contest“, erklärt uns ein rotznäsiges Gesicht unterm Seitenscheitel, kann man statt des schmalen Oberlippen-Bärtchens auch Rotz tragen, „das wäre dann auch praktischerweise die Faschismuskritik“.
Die geheimnisvolle Welt des Tex Rubinowitz ist bevölkert von seltenen Vögeln wie dem „Dickdarmhaardompfaff“, Menschen mit exzentrischen Nasen und lieben Igeln. Die Blasen, die von ihnen aufsteigen, transportieren feinsinnige, drastische, ausschweifende, lyrische Gedanken und Worte – oft in komischem Kontrast zum rudimentären der Zeichnungen. „Schluss mit Laxheit! Schluss mit Sweet 16! Schluss mit falschverstandenem Liberalismus! Her mit der Knute aus Mohair!“ Wie kommt der Vogel mit dem großen Schnabel bloß auf diese merkwürdigen Parolen? Rätselhaft, aber auch lustig. „Zigarette durchgestrichen“ ist ein Werk von großer Absurditätsdichte. Nicht nur, dass der Kellner bis zum Bauch in der Suppe steht, die er seinem Gast verspätet serviert. Nicht nur, dass er ihm erklärt, er habe sich wie ein Gondoliere lediglich mit Hilfe eines Stabes fortbewegen können und nicht mit dem sonst üblichen Außenborder. Als wäre das nicht absurd genug, denkt der Gast auch noch: „Ich habe gar keine Suppe bestellt.“
Tex Rubinowitz lehrt uns, wie gut schmecken kann, was man gar nicht bestellt hat. Mit Vorliebe tischt er das Weithergeholte auf, das Realitätsferne und Irritierende. Noch mit den abwegigsten Einfällen bewegt er etwas in unseren Herzen und Hirnen, und wir stellen verwundert fest: Tex inspiriert immer. Steffen Brück
Tex Rubinowitz: „Und für Leute, die überhaupt nicht lesen können, ist die Zigarette durchgestrichen“. Haffmans 1999. 160 Seiten, 28 DM
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