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Weibliche Eisbären mit zwei Schwänzen

Greenpeace berichtet über eine bislang unbekannte Vergiftung von Menschen und Tieren in der Arktis: Infolge von Hormonstörung entwickeln junge Bärinnen männliche Geschlechtsorgane  ■   Von Heike Dierstein

Hamburg (taz) – Berichte norwegischer Forscher über eine höhere Sterblichkeit bei Eisbären hatten Greenpeace auf die Spur gebracht. In zwölfmonatiger Recherche fand die Umweltorganisation jetzt die wahrscheinliche Ursache – und weitere alarmierende Daten: Ein bisher unbekannter Effekt einer „globalen Destillation“ transportiert große Mengen sogenannter Dauergifte wie DDT in die Arktis. Das geht aus einem Report hervor, den Greenpeace gestern in Hamburg vorstellte.

„Die Menschen und Tiere dort weisen Werte auf, wie wir sie bisher nur von Chemieunfällen kannten“, erläutert Manfred Krautter, Chemieexperte bei Greenpeace. So sei etwa der Giftgehalt in der Muttermilch von Inuit-Frauen, bis zu 25fach höher als der von Westeuropäerinnen. Und der Eisbär, so berichtet Krautter, gehört heute zu den am stärksten mit Umweltgiften belasteten Tieren der Erde. Dies manifestiere sich zum Beispiel in Hormonstörungen. So wurden etwa in Grönland und Nordnorwegen junge weibliche Eisbären gefunden, die einen Penis ausgebildet hatten.

Dauergifte, so genannt aufgrund ihrer schweren Abbaubarkeit, reichern sich lebenslang im Körper an und können Schäden am Immun-, Nerven und Hormonsystem, Fortpflanzungsstörungen und Krebs bewirken. Zwar seien die „alten“ Dauergifte wie DDT mittlerweile in vielen Ländern verboten, erklärt Krautter. An ihre Stelle treten nun aber neue, wie Flammschutzmittel aus Elektrogeräten oder künstlicher Moschus in Waschmitteln: „Die Chemieindustrie hat den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben“, resümiert der Chemieexperte.

Wie aber kommen die Stoffe in die wenig bevölkerte Arktis? „Sie gelangen durch die natürliche Verdampfung in die Luft und wandern dort“, erläutert Krautter. In kalten Regionen „frieren“ sie aus und gehen mit dem Schnee nieder. Die Belastung der Antarktis sei dabei viel geringer als die der Arktis, da auf der Südhalbkugel weniger Dauergifte produziert würden und der Äquator als Luftscheide fungiere.

Greenpeace startete gestern eine weltweite Kampagne für ein Verbot aller Dauergifte. WissenschaftlerInnen an Bord der „MV Greenpeace“ in Spitzbergen erheben derzeit weitere Daten.

Die Ausstiegskonvention, über die die UNO derzeit verhandelt, kritisiert Krautter, ächte nur die „alten“ Gifte. Die Europäische Union ist zwar mit der Oslo-Paris-Konvention im Juli 1998 einen Schritt weiter gegangen und hat sich verpflichtet, bis 2020 den Eintrag gefährlicher Chemikalien in den Nordostatlantik auf null zu bringen. „Passiert ist aber noch nichts“, weiß Krautter.

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