: Mit Grillrippchen und gerösteten Maiskolben
Der Vorwahlkampf der Republikanischen Partei im Mittleren Westen bietet stets ein apartes und lautes Spektakel ■ Aus Iowa Peter Tautfest
Alexandra Cook sammelt Wahlkampfspenden. 100 Millionen Dollar hat sie sich zum Ziel gesetzt, denn soviel kostet eine ernstzunehmende Kandidatur um die Präsidentschaft der USA. Ob sie für die Demokraten oder Republikaner kandidiert, weiß sie noch nicht, diese Frage hat Zeit – Alexandra ist erst drei Jahre alt. Fundraising aber duldet keinen Aufschub. „Eigentlich müssen künftige Präsidenten bei der Geburt damit beginnen“, sagt Lisa Cook, Mutter und Wahlkampfmanagerin von Alexandra, „wir sind schon zwei Jahre im Verzug.“ Deshalb hat Alexandra Cook am Samstag im Städtchen Ames im Bundesstaat Iowa offiziell ihre Kandidatur für das Jahr 2032 angekündigt, „wir werden jedes Jahr drei Millionen Dollar Spenden einnehmen müssen.“
Wofür Kandidaten soviel Geld brauchen, wird Alexandra an diesem strahlenden Sommertag im Herzen des amerikanischen „Heartlands“ anschaulich vorgeführt. Alexandra trägt ein T-Shirt in den Farben der amerikanischen Fahne mit der Aufschrift „Future President“. Während sie Flugblätter mit der Aufforderung „Invest in the Future“ austeilt, rollt ein unablässiger Strom riesiger Busse an ihr vorbei – die Reifen größer als das Mädchen. An den Windschutzscheiben prangen Aufschriften wie Dole, Bush, Quayle, Hatch, Forbes und Keyes – Namen von Republikanischen Präsidentschaftskandidaten für das Jahr 2000. Neun Männer und eine Frau streifen seit Monaten durch die maisbestandenen Gefilde Iowas, um in Schulen und Kirchen, auf Dorf- und Spielplätzen, in Wohnzimmern und Gärten, bei Picknicks und Barbecues ihre Wahlprogramme zu erläutern. Weitgehend unbemerkt von der amerikanischen Öffentlichkeit und unter großer Anteilnahme der Medien hat in den USA 16 Monate vor der Präsidentschaftswahl des Jahres 2000 und sechs Monate vor den ersten Vorwahlen der Wahlkampf begonnen.
Eine der seltsamsten Blüten die dieser fast zweijährige Wahlkampf treibt, ist die absurd anmutende Veranstaltung, die am Samstag auf dem Gelände der Iowa State University in Ames stattfand. 300 Busse brachten rund 25.000 Anhänger zum „Straw Poll,“ einer parteiinternen Probewahl, die die Republikanische Partei Iowas als Stimmungsbarometer und Fundraiser für ihre Kandidaten abhält. Die Medien stürzen sich auf diese rein parteiinterne Wahl, die keinerlei Konsequenzen hat, deren teils skurrile Wahlplattformen jedoch ein apartes Schauspiel abgeben. Für die Kandidaten ist diese „Strohwahl“ eine Testwahl und ihr Abschneiden entscheidet darüber, wie erfolgreich sie in den nächsten Monaten Spenden eintreiben können, um sich auf die entscheidenden Vorwahlen des Frühjahrs 2000 vorzubereiten.
An der Strohwahl kann sich jeder Bürger Iowas beteiligen, der die 25 Dollar für die Eintrittskarte aufbringen kann – und hier kommt das Geld der Kandidaten ins Spiel. Die sind es nämlich, die die 25 Dollar zahlen sowie die Kosten für die Busse, mit denen jeder Kandidat möglichst viele seiner Anhänger aus den entlegensten Winkeln Iowas nach Ames bringt zu einem „Tag voller Spiel, Spaß, Unterhaltung und Familienvergnügen“, wie sich der Kandidat Orrin Hatch ausdrückt, „denn das ist es doch letztlich, worum es in der Politik geht“. Entsprechend haben die Kandidaten aufgefahren: Die beste Band spielt im Festzelt von George W. Bush unmittelbar am Eingang zur Arena des Hilton Stadions, in dem die Reden gehalten werden – ein Standplatz, für den Bush 47.000 Dollar bezahlt hat.
Die längsten Schlangen fürs freie Mittagessen, das meist aus Grillrippchen und Maiskolben besteht, winden sich um das Lager des Bush-Konkurrenten Steve Forbes. Im wahrsten Sinne des Wortes kaufen die Kandidaten bei dieser Wahl ihre Wähler. Das meiste Geld haben George Bush und der Verleger Steve Forbes. Bush, der in drei Monaten 40 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden eintrieb, hat 750.000 in diese Strohwahl investiert, der Milliardär Steve Forbes, der sein eigenes Geld im Wahlkampf einsetzt, hat anderthalb Millionen ausgegeben, und es geht das Gerücht, dass er bei Zeitarbeitsfirmen Wähler einkaufen wollte. Lamar Alexander, der praktisch seinen Wohnsitz nach Iowa verlegt hat, hat schon im Januar alle Busse Iowas gemietet – woran er allerdings fast Pleite ging –, so dass die anderen Kandidaten Busse aus Nebraska, Illinois und Minnessota chartern mussten, um ihre Anhänger zu transportieren. „Lincoln sprach von der Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk“, donnert der wortgewaltige schwarze Talkmaster und ehemalige UN-Botschafter von Ronald Reagan, Alan Keyes, in der Arena des vollbesetzten Hilton, „nicht von der Regierung des Geldes durch das Geld für das große Geld“.
Alexandras Mutter würde dem natürlich zustimmen, hört seine Worte aber nicht, weil sie ihre Tochter im Schatten eines Baumes gerade zu ihrem wohlverdienten Mittagsschlaf bettet. „Das Weiße Haus und die amerikanische Politik sind nicht käuflich“, verkünden unter großem Applaus alle Kandidaten.
Iowa ist der Staat, in dem im Januar 2000 die erste Vorwahl, der „Iowa Caucus“, stattfindet, und in Iowa machen Kandidaten anders als anderswo Wahlkampf – gleichsam im Nahkampf.
„Für wen ich bin, weiß ich noch nicht, ich habe noch nicht alle Kandidaten zum Abendessen gehabt“, lautet nach einer gern erzählten Anekdote die Antwort einer Farmersfrau auf die Frage eines Demoskopen. So entsteht die Fiktion vom Staate Iowa im Herzland Amerikas, wo sich eine Urform direkter Demokratie erhalten hat. „Iowas Wahlkampf ist so populär, weil man hier billig Wahlkampf machen und Senatoren noch billig kaufen kann“, sagt Arthur Neu, ehemaliger Vorsitzender der Republikanischen Partei Iowas und ehemals stellvertretender Gouverneur Iowas. „Hier kostet der Wahlkampf eines Senators rund eine Million Dollar – die meisten Spenden kommen von der Ostküste.“ In einem Staat wie Massachusetts bräuchte man mit einer lumpigen Million den Wahlkampf aber erst gar nicht anzufangen.
„Die Bedeutung Iowas für Präsidentschaftskandidaten liegt darin, dass man hier für vergleichsweise wenig Geld bekannt werden kann“, sagt der Republikanische Sprecher des Parlaments von Iowa, Brent Sigrist. „In Kalifornien käme man ohne Medien nicht aus, und Fernsehwerbung kostet dort allein schon mehrere Millionen.“
In Iowa aber besorgen Veranstaltungen wie die Strohwahl, dass Alexandras Mittagsschlaf vom rollenden Donner hunderter Harley Davidsons etwas unsanft unterbrochen wird. Die schweren Maschinen werden jetzt vom Gouverneur Wisconsins, Thomy Thompson, angeführt und rollen schwungvoll auf den Campus. Das sind die „Biker for Bush.“ Kandidat Bush schwingt sich auf die Ladefläche eines Trucks und erklärt: „Ihr vertretet hier die vier Millionen Biker im Lande. Ihr wisst, was Diskriminierung heißt, wenn ihr wegen eurer Tätowierungen und geflochtenen Bärte an Motels abgewiesen oder in Restaurants nicht bedient werdet. Dass die Biker heute mich unterstützen, beweist, wie groß die Fortschritte sind, die wir bei der Verbreiterung unserer Parteibasis gemacht haben.“ Die Motorradfahrer sind begeistert, die Partei freut sich über jede Stimme. Charles Canny fährt eine blauschimmernde Harley Davidson. Bush unterstützt er, weil der in Texas den Helmzwang für Motorräder abgeschafft hat. „Ich bin 62 Jahre alt, war in Vietnam, habe zwei Kinder großgezogen und brauche keine Anweisungen, wie ich mein Leben leben soll. Die Regierung soll sich aus dem Privatleben der Leute raushalten.“
Nach Ames ist Charles gekommen, weil er als Biker jede Gelegenheit wahrnimmt, um mit seinesgleichen die „Bruderschaft der Straße“ zu erleben und sich den Wind durch das weiße Haar wehen zu lassen. Charles ist Mitbegründer von ABATE (A Brotherhood Aimed At Education = Eine Brüderschaft für Erziehung). Sie bietet jungen Motorradfans Fahr- und Sicherheitsunterricht und auch Staatsbürgerkunde an. „Die meisten jungen Leute wählen nicht, weil sie nicht wissen, wie das geht, wo man sich hinwendet, wie man einen Wahlzettel ausfüllt.“ Das will er mit anderen Bikerfreunden ändern helfen. 1992 und 1996 hat er für Clinton gestimmt und war mit ihm auch zufrieden. Ob er im November nächsten Jahres für Bush stimmt, weiß er noch nicht, das ist noch so lange hin.
Auch Tamy Kesterson und ihr Mann Todd sind empört über die Bedeutung, die Geld besonders in diesem Wahlkampf angenommen hat. Sie tragen Abzeichen des NRA, der National Rifle Association, der berüchtigten Waffenlobby Amerikas, die oft Unsummen an Spenden für konservative Kandidaten aufbringt. In erster Linie sorgen sich die Kestersons um den hohen Prozentsatz von Kindern, die in Amerika in Armut leben. Die Kestersons sind selbst arm, obwohl Todd derzeit Arbeit als Baumbeschneider hat. Tamy aber ist Mutter und arbeitet 50 Stunden die Woche ehrenamtlich in einer Kampagne, deren Ziel es ist, die Kinder allein stehender Mütter tagsüber unterzubingen, damit diese arbeiten gehen können. Sie sitzen unter Bushs Zelt und kauen Texas Barbecue. Bei den beiden vorherigen Wahlen von 1992 und 1996 haben sie für Clinton gestimmt und würden ihn auch wiederwählen, wenn er noch mal kandidieren könnte. Clinton hat Programme zur Impfung von Kindern unterstützt und wollte die Gelder der Zigarettenindustrie zur Krankenversicherung von Kindern aus armen Familien verwenden.
Darice Hennick und Kelley McFarland sitzen bei Elizabeth Dole und essen Schweinebraten. Ihre Männer interessieren sich nicht für Politik. Die Damen aber sähen gern eine Frau im Weißen Haus. „Es ist Zeit, dass das Land von mehr Mitgefühl regiert wird“, sagen sie. Auch sie haben zweimal für Clinton gestimmt, sind aber über dessen Skandale empört. „Clinton hätte mehr Mitgefühl mit dem Land haben und es mit seinen peinlichen Affären verschonen sollen.“ Ihre Wahlentscheidung haben die Damen erst einmal verschoben.
Lärm spielt bei dieser Veranstaltung eine große Rolle. Manchmal ist es aber auch zuviel des Guten. Als der Milliardär Steve Forbes seine Rede hält, geht donnernd ein Feuerwerk im Saal los. Seine aufmarschierten Anhänger machen mit Presslufttröten einen ohrenbetäubenden Lärm, und von der Decke schweben tausende von Luftballons herab. Der Krach scheint mehr Spaß zu machen als die Rede des Kandidaten, die im Knallen zerplatzender Luftballons untergeht.
Gewonnen hat diese Strohwahl George W. Bush, der fast soviel Stimmen bekommen hat wie Forbes und Dole zusammen, die den zweiten und dritten Platz belegten. Die beiden ersten Plätze wurden mithin von den finanzkräftigsten Kandidaten errungen. Sie werden das Rennen um die Republikanische Kandidatur unter sich ausmachen, alle anderen können nach diesem Samstag ihre Kandidaturen eigentlich zurückziehen. Sie haben nicht genug Wähler mobilisiert oder gekauft, sie werden also auch schwerlich weitere Wahlkampfspenden eintreiben können.
Bei Verkündung des Abstimmungsergebnisses liegt Alexandra längst im Bett. Der originelle Protest ihrer Mutter gegen die Rolle des Geldes in der Politik ist von den meisten Besuchern und Wahlkämpfern an diesem Nachmittag freundlich aufgenommen worden, ändern aber wird er nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen